Der Bernstein-Mensch
folgerte daraus, daß er des Lügens müde geworden war, und das überraschte ihn überhaupt nicht. Jonathon war ein miserabler Lügner. Nicht nur, daß die Lügen an sich völlig unglaubhaft waren – er zwinkerte auch noch bei jeder einzelnen wie ein Irrer mit Asche im Auge.
„Wenn ich Ihnen von unserem Stern erzähle“, schlug Jonathon vor, „sind Sie dann bereit, uns dafür von Ihrem zu erzählen?“ Der Alien senkte den Kopf ein wenig, und sein langer Hals schwankte hin und her. Es war ganz offensichtlich, daß Jonathon Reynolds Antwort große Bedeutung beimaß.
Also sagte Reynolds: „Mit Vergnügen“, obgleich er sich eigentlich keine Information über die Sonne vorstellen konnte, die bei diesen Wesen besondere Überraschung auslösen würde. Gleichviel, man hatte ihn hierhergesandt, um soviel wie möglich über die Aliens herauszufinden, ohne dabei etwas Wichtiges über die Menschheit preiszugeben. Dieser Informationsaustausch über Sterne schien ihm ein sicherer Weg zu sein.
„Dann werde ich beginnen“, sagte Jonathon, „und bitte verzeihen Sie die ungenaue Ausdrucksweise. Meine Kenntnisse Ihrer Sprache sind begrenzt. Ich nehme an, Sie haben für diesen Bereich ein spezielles Vokabular.“
„Ein technisches Vokabular, allerdings.“
Der Alien sagte: „Unser Stern ist ein Bruder des Ihren. Oder besser eine Schwester? In Zeiten intensivster Verbundenheit ist seine – oder ihre? – Weisheit makellos. Zu Zeiten ist er auch zornig – anders als Ihr Stern –, aber diese Zeiten sind selten, und sie dauern auch nicht länger als ein paar flüchtige Augenblicke. Zweimal hat er die Vernichtung unserer Zivilisation in Augenblicken höchsten persönlichen Zornes angekündigt, aber niemals hat er es für erforderlich gehalten, diese Vorhersage auch zu erfüllen. Ich würde sagen, er ist eher freundlich denn rasend, eher sanftmütig denn brutal. Ich glaube, er liebt unser Volk tief und fest. Unter den Sternen des Universums ist seine Stellung nicht bedeutend, aber er ist unser Heimatstern, und wir müssen ihn verehren. Und das tun wir natürlich auch.“
„Sprechen Sie weiter“, sagte Reynolds.
Jonathon fuhr fort, und Reynolds lauschte ihm. Der Alien sprach von seiner persönlichen Beziehung zu dem Stern und davon, wie der Stern ihm in Zeiten individueller Finsternis geholfen hatte. Einmal war er ihm bei der Partnersuche behilflich gewesen, und die daraus resultierende Verbindung war nicht nur vollkommen, sie war geradezu göttlich gewesen. Die ganze Zeit hindurch redete Jonathon über seinen Stern wie ein ehrfürchtig-frommer Jude über den Gott des Alten Testaments gesprochen hätte. Zum ersten Mal bedauerte Reynolds jetzt, daß er den Recorder hatte zerstören müssen. Wenn er versuchte, Kelly von diesem Gespräch zu berichten, würde sie ihm kein Wort glauben. Während er sprach, zwinkerte der Alien nicht ein einziges Mal, nicht einmal kurz – und Reynolds sah genau hin.
Schließlich war er fertig. Er schloß: „Aber dies ist nur ein Anfang. Wir können einander so viel geben, Bradley Reynolds. Wenn ich nur erst mit Ihrem technischen Vokabular vertraut bin. Kommunikation zwischen getrennten Wesenheiten – die großen Barrieren der Sprache …“
„Ich verstehe“, sagte Reynolds.
„Das wußten wir. Aber nun sind Sie an der Reihe. Erzählen Sie mir von Ihrem Stern.“
„Wir nennen ihn ‚Sonne’“, sagte Reynolds. Dabei kam er sich mehr als nur ein bißchen albern vor – aber was sollte er sonst sagen? Wie konnte er Jonathon sagen, was er wissen wollte, wenn er es selbst nicht wußte? Alles, was er über die Sonne wußte, waren Tatsachen. Er wußte, wie heiß sie war, wie alt sie war, er kannte ihre Masse,
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