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Der Beschütze

Der Beschütze

Titel: Der Beschütze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Belinda Bauer
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Schaden von gestern Abend war minimal gewesen. Der Frontschutzbügel des Land Rover hatte Karosserie und Scheinwerfer geschützt, und Jonas hatte das tote Pony gleich in aller Frühe Eric Scott gemeldet, dem Ranger, der für das Naturschutzgebiet zuständig war. Dann hatte er Bob Coffin vom Jagdverein Blacklands angerufen, um ihm mitzuteilen, wo er den Kadaver finden konnte. Seine Kopfschmerzen waren so vollständig verschwunden, dass Jonas sich kaum vorstellen konnte, wie sich Kopfweh anfühlte. Und obgleich Marvel nicht direkt gesagt hatte, dass er Peter Priddy in Ruhe lassen würde, hatte Jonas wenigstens die Sache mit dem Alibi zur Sprache gebracht, so wie er es versprochen hatte.
    Hauptsächlich jedoch fühlte er sich besser, weil er Marvel nicht in den Pub gefahren hatte. Es war ein kindischer Sieg, aber nichtsdestotrotz ein Sieg. Natürlich hatte er jetzt dank Marvel den ganzen Tag Zeit, vor Margarets Haustür zu stehen und diesen Sieg zu genießen, während er darauf wartete, dass der vollkommen berechenbare Mörder zum
Tatort zurückkehrte, angezogen wie Eisenspäne von einem Magneten.
    Jonas lächelte wehmütig.
    Na schön. Wenigstens regnete es nicht.
    Die Jungen skateten auf der Rampe, als er den Hügel hinunterkam. In der Stille des Morgens hörte er sie, bevor er sie sah  – ein Geräusch wie von kleinen Güterzügen auf kurzer Fahrt; jede endete mit einem Klappern, einem Lachen, beifälligen Lauten oder einem scharf hervorgestoßenen Schimpfwort, das schwach vom Spielfeld her zu ihm heraufschwebte. Jetzt kam die Rampe in Sicht. Drei Jungen. Steven Lamb, Dougie Trewell und einer von den Tithecotts. Chris? Mark? Von hier aus konnte er es nicht erkennen.
    Jonas blieb einen Moment lang stehen und schaute auf sie hinunter, bewunderte ihre träge Anmut  – selbst in ihren dicken Winterjacken waren ihre Bewegungen elegant. Er hatte eine Menge schlechte Skater auf dieser Rampe gesehen, seit er nach Shipcott zurückgekehrt war  – Lalo Bryant hatte er mit seinem gebrochenen Knöchel persönlich ins Krankenhaus gefahren  –, doch diesen drei Jungen zuzusehen, machte Spaß. Besonders an einem Morgen wie diesem, wo das weiße Spielfeld um sie herum von der spät aufgehenden Sonne orangerot gefärbt wurde und ihre Spuren im Raureif der Szene etwas Weihnachtliches verliehen. Bei der Erinnerung an die gerade vergangene Weihnachtszeit verspürte Jonas Unbehagen. Das Schweigen, das angespannte weiße Gesicht von Lucys Mutter, die geschäftig die Treppe hinauf-und hinuntereilte, das falsche Lächeln und das gezwungene »Fröhliche Weihnachten«, die uneingewickelten Geschenke unter dem unbeleuchteten Weihnachtsbaum. Und am meisten der Anblick von Lucy, still und elend in ihrem Bett, wenn sie ebenso gut hätte tot sein können. Noch bevor der Weihnachtstag auch nur angebrochen war, hatte Jonas den Baum kopfüber in die Mülltonne gestopft, mitsamt Lichterkette, Lametta und allem Drum und Dran.

    Als er weiterging, bemerkte er etwas Gelbes am Rand des Spielfeldes. Er machte ein paar Schritte rückwärts, um durch eine Lücke in der Hecke wieder freie Sicht darauf zu haben.
    Etwas lag in dem Bach, der dicht bei der Rampe am Spielfeld entlangfloss. Wahrscheinlich eine Plastiktüte, doch Jonas’ Bauchgefühl meldete sich unruhig.
    Er eilte fünfzig Meter den Hügel hinunter, dorthin, wo die Hecke von einem rostigen Metallgatter unterbrochen war. Es war verbogen, seit Jack Biggins einmal eine Kuh daran angebunden hatte, ohne eine Panikschlinge aus Strohschnur zu verwenden.
    Jetzt kletterte Jonas an diesen verbogenen Querstangen hinauf, bis er seinen ursprünglichen Einszweiundneunzig noch einen Meter hinzugefügt hatte. Aus dieser Höhe  – und näher am Bach  – konnte er sehen, dass es keine Plastiktüte war.
    Jonas sprang von dem Tor in die Wiese und rannte den Hügel hinunter. Die helle Morgensonne erschien ihm plötzlich surreal. An so einem Morgen sollte er nicht mit diesem Flattern im Bauch dahinrennen, während der Reif unter seinen Füßen knisterte. Am unteren Ende der Wiese flankte er über den Zauntritt auf das Spielfeld und rannte noch schneller. Jetzt, wo er auf ebenem Gelände war, konnte er das gelbe Ding nicht mehr sehen, doch er hatte sich die Stelle gemerkt und rannte erst an den Schaukeln und dann an der Rampe vorbei, auf den schiefen Schlehdorn zu, der sich wie betrunken über den Bach neigte.
    Er erreichte das Ufer, und da war sie.
    Die Leiche.
    Das gelbe T-Shirt um die Taille

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