Der Beschütze
selben kleinen Dorf, in etwas mehr als einer Woche, das klang aufregend nach Serientäter, und es war nur eine Frage der Zeit, bis die Reporter anrückten, mit ihrer aufdringlichen Art und ihren verschrobenen
Ansichten. Er wollte, dass Dave Pollard für die Presse zuständig war, weil er der Begriffsstutzigste und der am wenigsten Mitteilsame im Team war. Er hatte keine Angst, dass Pollard das Ganze plötzlich zu Kopf steigen und er bei einer Pressekonferenz zu viel plappern könnte, nur weil die Reporterin, die die Frage gestellt hatte, einen Push-up-BH trug.
Die beiden Rettungshelfer, die bei ihrer Patientin offensichtlich nichts mehr ausrichten konnten, wandten sich stattdessen Jonas zu und zogen ihm unter professioneller Nichtachtung seiner Würde Hose, Socken und Stiefel aus. Sie hatten ihn in eine Decke aus Wärmefolie gehüllt, gefolgt von einer kratzigen grauen Wolldecke, ganz ähnlich wie die, die er erst vor ein paar Tagen Yvonne Marsh um die Schultern gelegt hatte. Bei diesem Gedanken hörte Jonas auf, gegen das Zähneklappern anzukämpfen, und ließ es sämtliche Geräusche übertönen, wie eine Rührtrommel zwischen seinen Ohren.
Er hatte gewusst, dass es Yvonne Marsh war, sobald er den Leichnam im Wasser gesehen hatte. Er hätte sie retten können. Hätte ihr damals ins Haus folgen und mit Danny und seinem Vater darüber sprechen können, welche Optionen sie hatten, über Hilfsangebote, über Sicherheitsschlösser. Er hätte ihnen die Nummer des Sozialdienstes geben können, um eine Entlastungsbetreuung zu beantragen. Oder er hätte Rupert Cooke von der Sunset Lodge fragen können, ob er noch ein Zimmer frei hätte.
Hätte, sollte, könnte. Jetzt, wo Yvonne Marsh tot war, fielen Jonas unzählige Möglichkeiten ein, sie am Leben zu erhalten.
Denn nachdem Marvel Reynolds auf die Quetschungen aufmerksam gemacht hatte, wusste Jonas, dass der Mann, der Margaret Priddy umgebracht hatte, auch Yvonne Marsh getötet hatte. Wusste es ganz tief im Bauch.
Und leichter wäre es auch gewesen, dachte er bei sich. Jonas hätte einen ordentlichen Batzen Geld drauf gewettet,
dass der Mörder nicht bei den Marshs hatte einbrechen müssen, um sein zweites Opfer zu finden. Zweifellos war Yvonne in ihrer geistigen Umnachtung einfach ins Freie getappt, um einkaufen zu gehen oder den kleinen Danny von der Schule abzuholen. Oder um ihre Sandalen im See zu finden.
Stattdessen hatte sie den Mörder gefunden, oder er sie.
Und Jonas hatte abermals versagt.
»Yvonne!« Er hörte einen jähen Wimmerlaut, drehte sich um und sah Alan Marsh in der blauen Latzhose und den Stahlkappen-Stiefeln, die er bei der Arbeit trug, unbeholfen über das Spielfeld hasten. Das Entsetzen hatte das normalerweise mürrische Gesicht des Mannes aufgerissen. Zwanzig Meter hinter ihm kam sein Sohn Danny, barfuß, in Jeans und T-Shirt, ohne auf die Kälte zu achten – und Reverend Chard, zu fett, um sich schneller fortzubewegen als im zügigen Schritt.
Grey versuchte zu verhindern, dass Alan Marsh einfach auf den Tatort stürmte, doch der Mann rannte an ihm vorbei, als wäre er gar nicht da, und fiel neben seiner toten Frau auf die Knie.
Jonas rechnete mit Tränen und Klagen, aber Alan Marsh beruhigte sich, als er seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt sah. Er berührte den Leichnam nicht einmal – kniete einfach nur da, betrachtete ihn und schüttelte den Kopf. Danny ließ sich von Grey bremsen und stand dann daneben, die Hand auf der Schulter seines Vaters.
Jonas wünschte, er hätte seine Hose an, doch hier ging es nicht um ihn. Die Decke wie einen Sarong um die Hüfte haltend, ging er zu diesem Tableau des Kummers hinüber und trat in Dannys Blickfeld.
»Es tut mir leid, Danny. Mr. Marsh.«
Danny sah Jonas benommen an. »Was ist passiert?«
»Wir wissen es noch nicht genau. Ich habe sie im Bach gefunden.«
»Sie ist ertrunken?«
Jonas achtete nicht auf Marvels völlig unnötigen warnenden Blick. »Wir wissen es noch nicht. Ich habe versucht, sie wiederzubeleben, aber ich glaube, sie hat schon eine ganze Weile im Wasser gelegen. Vielleicht schon seit Stunden.«
Danny nickte und biss sich auf die Lippe, bis er wieder sprechen konnte. »Wir haben nicht mal gemerkt, dass sie weg war. Erst als wir den Notarztwagen gehört haben.«
Jonas nickte.
»Man kann ja nicht die ganze Zeit auf sie aufpassen«, sagte Danny dumpf.
»Ich weiß«, beteuerte Jonas. »Ich weiß.«
Er sah, wie sich die Tränen in den Augen seines früheren
Weitere Kostenlose Bücher