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Der Beschütze

Der Beschütze

Titel: Der Beschütze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Belinda Bauer
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immer das Thema in jedermanns Kopf war, strömte Leben aus den Schultoren in diese seltsame neue Welt. Schüler, die es gewohnt waren, allein nach Hause zu gehen, stellten überrascht und peinlich berührt fest, dass nervöse Mütter mit Kinderwagen und angeleinten Hunden gekommen waren, um sie abzuholen. Die schmale Straße vor der Schule war mit Autos verstopft, die sich anschickten, die Kinder lieber durch die normalerweise ruhigen Straßen zu anderen Dörfern zu transportieren, als zu riskieren, dass sie den Bus verpassten oder die letzten paar hundert Meter im Dunkeln allein zu Fuß zurücklegten. Ein Mord war schon
schlimm genug; ein zweiter hatte ein »Mehr-als-ein-Zufall«-Gefühl erzeugt, das übervorsichtiges Abholen rechtfertigte, und Pat Jones, die Schülerlotsin, bekam die größte Wucht der allgemeinen Angst ab, als sie ganz allein versuchte, mit dem unverhofften Verkehrschaos fertigzuwerden.
    Leute, die ihre Hunde Gassi führten, gingen nicht mehr so bereitwillig aufeinander zu. Frauen, die allein auf dem Moor unterwegs waren oder das Fußballfeld überquerten, scheuten vor Männern zurück, die sie schon ihr ganzes Leben lang kannten, und diese Männer hielten Abstand, um den Frauen keine Angst zu machen. Bauern, die Wanderer auf den Wegen erblickten, behielten sie im Auge, bis sie außer Sicht waren, und merkten sich die Kennzeichen von Autos, die auf Rastplätzen parkten. Brüskes Winken trat an die Stelle von Gesprächen, und die Leute riefen sich einander über die Straße hinweg eine Spur zu laut »Hallo« zu, damit auch jeder merkte, dass sie normal und freundlich waren und keine durchgeknallten Einzelgänger, die Mordpläne schmiedeten.
    Der Bugle- Reporter kam aus Dulverton und zog kleine Knäuel aus Menschen an, die nickend und mit besorgten Mienen vor ihren Haustüren standen.
    Der Red-Lion- und der Blue-Dolphin-Imbiss machten ein gutes Vormittagsgeschäft, doch beide schlossen aus Mangel an Gästen früher als sonst. Überzeugte Säufer gingen zu ungewöhnlich früher Stunde nach Hause, um festzustellen, dass ihre Kinder während ihrer Pub-bedingten Abwesenheit herangewachsen waren und jetzt darauf bestanden, anstelle von Sesamstraße Seifenopern mit eindeutigem sexuellem Unterton zu schauen.
    Steven Lamb wurde von seiner Mutter verboten, nach Einbruch der Dunkelheit zur Skateboard-Rampe zu gehen; insgeheim war er erleichtert. Und Billy Beer  – der seit Jahren von einem kleinen Grüppchen Teenager geplagt wurde, die sich jeden Abend an der Bushaltestelle vor seinem Haus trafen und deretwegen Bongo wie wild bellte  – setzte die plötzliche
Stille so zu, dass er sich die ganze Nacht ruhelos herumwälzte und jeden Morgen beim Aufwachen erschöpfter war als am Abend zuvor.
     
    Jonas gab Lucy einen Gutenachtkuss und kam sich vor wie ein Bigamist.
    Sie hatte beteuert, es mache ihr nichts aus. Nein, sie war sogar noch großzügiger gewesen  – sie hatte ihm zugeredet zu gehen, auch wenn sie seine Begründung nicht ganz verstand.
    »Ich glaube nicht, dass irgendjemand dir gestern irgendwelche Vorwürfe gemacht hat, Liebling.«
    »Ich hab’s aber gemerkt«, beharrte er.
    »Und du meinst nicht, dass du ein bisschen paranoid bist?«
    »Wieso? Glaubst du das?« Offenkundig lautete die Antwort: »Ja«, sonst hätte Lucy ihm diese Frage nicht gestellt, doch es interessierte Jonas immer, was sie zu sagen hatte.
    »Ein bisschen.« Sie zuckte die Schultern. »Ich kann verstehen, dass du das Gefühl hast, du wärst irgendwie verantwortlich … dass du Margaret und Yvonne gegenüber irgendwie versagt hättest … obwohl ich nicht einsehe, wie. Aber alles, was ich im Pub gesehen habe, waren besorgte Leute, die Informationen von dir wollten.«
    Jonas schwieg, damit er ihr nicht zu widersprechen brauchte. Er wollte keine anderen Ansichten äußern, die sich vielleicht zu einem Streit auswachsen könnten, der möglicherweise zu der Kinderfrage zurückführte. Darauf hatte er überhaupt keine Lust. Er hoffte nur, sie würde ihm nicht vorschlagen, zu Hause zu bleiben, denn sein Entschluss stand fest.
    Stattdessen sagte Lucy: »Aber ich weiß, es geht gar nicht so sehr um sie als darum, wie es dir bei der ganzen Sache geht , Jonas, und ich finde auch, dass das wichtig ist. Wenn es dir besser geht, wenn du nachts losziehst, dann solltest du das tun.«

    Er verdiente sie nicht. Hatte sie nie verdient und würde sie niemals verdienen.
    Er erhob sich und holte ihr bestes Messer aus dem Messerblock in der

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