Der Bestatter: Thriller (Christian Beyer-Reihe)
Christian.
»Auch dort mietet er sich einen Wagen. Er war gerade vor ein paar
Tagen wieder dort, von Sonntag bis Montag, deshalb war die Recherche einfach.«
»Am vierundzwanzigsten ist er in Saarbrücken, am sechsundzwanzigsten
und siebenundzwanzigsten in Düsseldorf. Der kommt ganz schön rum. Meinst du,
wir finden bald eine Leiche bei Düsseldorf?« Pete trank einen Schluck von
Volkers Bier.
»Ich hoffe nicht. Aber der Kilometerstand des Mietwagens war
interessant. Ich habe mit dem Zirkel und dem halben Kilometerstand einen Kreis
um den Düsseldorfer Flughafen gezogen, und wo lande ich da?« Daniel schaute
Christian auffordernd an. Der mahlte genervt mit den Backenzähnen: »Red schon.
Wir sind hier nicht in einer dämlichen Quizshow.«
»Mein Zirkel geht mitten durch Eindhoven. Erinnert ihr euch? Da war
doch Herbert Perlmann mit dem kleinen Klaus Backes.«
In ihren Joggingklamotten saß Anna am Schreibtisch und
wälzte die Bibel-Konkordanz. Es dauerte eine Weile, bis sie die von Dante
zitierten Stellen fand. Sie waren aus dem Buch der Psalmen – gestern hatte er
Auszüge aus Psalm 88 geschickt, der betitelt war mit »Gebet in der Not« und
heute war Psalm 38, »Gebet in tiefster Not«, bei ihr angekommen. Anna tippte
die Stellen mit Versangaben aus der Bibel ab und hängte sie an ihre Zettelwand,
wo sie Termine, Cartoons, Literaturtips und Aphorismen sammelte. Sie verspürte
den fast leidenschaftlichen Willen, Dantes düsterem Geheimnis auf die Spur zu
kommen. Was verursachte seine Not? Welcher Lebensumstände Opfer war er? Anna
hoffte, am Montag in der Therapiesitzung endlich gemeinsam mit Dante einen
Schritt machen zu können. Die Mails gaben die Richtung vor, das Ziel jedoch lag
im dunkeln.
Anna klappte die Bibel zu, holte ihr Fahrrad aus dem Keller und fuhr
zur Alster. Sie hoffte, daß eine kleine Brise über den See strich, die ihr das
Joggen angenehmer machen würde. Mindestens dreißig Grad Celsius, und die Sonne
brachte den Asphalt zum Kochen. Es war viel Verkehr auf den Straßen, die
Menschen waren gestreßt, es wurde gehupt, gedrängelt und geschimpft. An der
Alster war es zwar wie erwartet überfüllt, die Stimmung jedoch entspannter.
Anna kettete ihr Fahrrad an und setzte sich trabend in Bewegung. Vorsichtig
lief sie in Richtung Hundewiese, immer einen Blick aus dem Augenwinkel auf
eventuell herumfliegende Frisbees, in die sofort ein spielender Hund seine
Schneidezähne schlagen würde. Einmal war ihr eines dieser Plastikteile zwischen
die Unterschenkel geflogen. Der hinterhersprintende Hund hatte im Eifer des
Gefechts nicht genügend Distinktionsfähigkeit bewiesen und ihre Wade, die sich immerhin
auch recht flott bewegte, mit dem Beute-Frisbee verwechselt. Eine schmerzhafte
Erfahrung. Anna mochte Hunde zwar, aber sie bemühte sich seitdem, für sie
mitzudenken.
Sie trabte rechts von den Hunden über die Wiese, vorbei an den
sonnenhungrigen Mittagspäuslern, die in den von der Stadt bereitgestellten
weißen Holzstühlen ausdünsteten, zurück auf den Weg, der in einer Länge von
circa sieben Kilometern einmal rund um den See führte. Als sie nach links
abbog, sah sie Pete mit seinen Kollegen aus dem Cliff kommen. Sie würde direkt
in sie hineinlaufen, wenn sie ihr Tempo hielt, also verzögerte sie
verunsichert, nicht wissend, ob sie diese Begegnung wollte. Doch Pete hatte sie
schon entdeckt. Auch er zögerte kurz, das sah sie genau, dann entschloß er sich,
ihr fröhlich zuzuwinken, zumal sie nun kaum noch fünf Meter entfernt war. Nur
leicht außer Atem hielt sie an und warnte Pete lächelnd, sie zu küssen: »Sorry,
aber ich rieche wie ein Pumakäfig!« Pete küßte sie trotzdem vorsichtig rechts
und links auf die Wangen und stellte sie seinen Kollegen vor: »Das ist Anna
Maybach, meine …« Er suchte eine Millisekunde zu lange nach der richtigen
Bezeichnung.
»… seine Therapeutin«, sagte Anna leicht amüsiert, »Pete legt sich
bei mir auf die Couch, und ich kassiere dafür. So ähnlich jedenfalls.«
Christian, der sie interessiert fixierte, reichte ihr die Hand: »Das
klingt ausgesprochen verlockend.«
Anna erwiderte Christians kräftigen Händedruck, nickte den anderen
grüßend zu und sah in Christians Augen. Ihre Blicke verhakten sich, griffen
ineinander wie zwei Zahnräder, liefen gemeinsam los, ganz weit weg, die
Randzonen ihres Wahrnehmungsfeldes versanken in Unschärfe … Anna unterbrach den
Blickkontakt, stoppte die Räder. Sie verspürte einen unbändigen
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