Der Besucher - Roman
Zeitraum, als der Park kurzfristig verschlossen war, um die Baker-Hydes fernzuhalten, suchte die Ketten und Vorhängeschlösser wieder heraus und verriegelte damit die Tore. Einen der Schlüssel hinterließ ich im Herrenhaus, den anderen behielt ich an meinem Schlüsselbund; auch ließ ich mir einen Nachschlüssel zur Gartentür machen. Danach war mir erheblich wohler zumute, und nun konnte ich kommen und gehen, wie ich wollte.
Wie nicht anders zu erwarten war, versetzte Mrs. Ayres’ Selbstmord der gesamten Gegend einen Schock. Man hatte sie zwar in den letzten Jahren kaum mehr außerhalb von Hundreds gesehen, doch sie war immer noch eine bekannte und beliebte Frau; und etliche Tage lang konnte ich durch keines der umliegenden Dörfer gehen, ohne dass mich irgendjemand ansprach und meine Version der Geschichte hören wollte. Alle teilten mir mit, wie verstört sie seien, wie leid es ihnen täte und dass sie kaum glauben könnten, wie eine so »reizende Frau«, eine Dame »vom alten Schlag«, »so attraktiv und nett«, eine derart schreckliche Sache tun könne – »und diese beiden armen Kinder einfach zurückließ«. Viele erkundigten sich, wo Roderick sei und wann er nach Hause zurückkehren würde. Ich erwiderte stets, er sei mit Freunden auf Reisen und seine Schwester versuche, Kontakt mit ihm aufzunehmen. Nur den Rossiters und den Desmonds gegenüber war ich aufrichtiger, denn ich wollte nicht, dass sie Caroline mit unangenehmen Fragen noch weiter zusetzten. Ich sagte ihnen ganz offen, dass Rod in einem Pflegeheim sei und wegen eines Nervenzusammenbruchs behandelt würde.
Helen Desmond rief sofort: »Aber das ist ja schrecklich! Ich kann das gar nicht glauben! Warum ist Caroline denn nicht schon eher zu uns gekommen? Wir haben ja schon vermutet, dass die Familie in Schwierigkeiten steckt, aber sie schienen alles unbedingt allein regeln zu wollen. Bill hat ihnen so oft seine Hilfe angeboten, wissen Sie, aber sie haben immer abgelehnt. Wir dachten eigentlich, dass es bloß um Geldschwierigkeiten ginge … Wenn wir geahnt hätten, dass die Dinge so schlimm standen …!«
»Ich glaube, keiner von uns hat das vorhersehen können«, erwiderte ich.
»Aber was kann man da tun? Caroline kann doch unmöglich allein da draußen in diesem riesigen, düsteren Haus bleiben! Sie sollte bei Freunden sein. Sie sollte besser hierherkommen, zu Bill und mir. Ach, das arme, arme Mädchen! Bill, wir müssen sie unbedingt zu uns holen!«
»Natürlich müssen wir das«, sagte Bill.
Sie waren bereit, sich augenblicklich auf den Weg zum Herrenhaus zu machen. Und genauso reagierten auch die Rossiters. Doch ich war mir gar nicht so sicher, ob Caroline diese Einmischung gutheißen würde, wie nett sie auch gemeint sein mochte. Ich schlug ihnen vor, dass ich zunächst mit Caroline reden würde, und als ich ihr die Vorschläge der Desmonds und Rossiters unterbreitete, reagierte sie genau wie erwartet und schauderte, als graute ihr allein bei dem Gedanken.
»Das ist ja sehr nett von ihnen«, sagte sie. »Aber wenn ich mir vorstelle, dass ich bei jemand anderem im Haus leben soll, wo mich die Leute von morgens bis abends beobachten, um zu sehen, wie es mir geht … Das kann ich einfach nicht. Ich hätte immer Angst, dass ich zu unglücklich wirke – oder eben nicht unglücklich genug. Da bleibe ich lieber hier, jedenfalls fürs Erste.«
»Bist du dir sicher, Caroline?«
Genau wie allen anderen gefiel mir die Vorstellung gar nicht, dass sie da draußen allein in diesem Haus war und nur die arme, trübselige Betty zur Gesellschaft hatte. Doch sie schien wild entschlossen zu bleiben, also kehrte ich wieder zu den Desmonds und Rossiters zurück und sprach mit ihnen. Diesmal machte ich deutlich, dass Caroline gar nicht so einsam und ohne Unterstützung war, wie sie fürchteten, sondern dass sich tatsächlich jemand recht gut um sie kümmerte – und zwar ich. Nachdem sie mich zuerst nicht richtig verstanden hatten, begriffen sie die Andeutung schließlich und wirkten einigermaßen überrascht. Die Desmonds reagierten als Erste und gratulierten mir; sie sagten, das sei bei weitem das Beste, was Caroline passieren könne, und dass ihnen »eine große Last von der Seele« genommen worden sei. Die Rossiters reagierten höflich, waren aber deutlich argwöhnischer. Mr. Rossiter schüttelte mir zwar durchaus freundlich die Hand, doch ich merkte, dass seiner Frau die ganze Sache nicht geheuer war, und erfuhr später, dass sie, kaum hatte ich das
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