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Der Besucher - Roman

Der Besucher - Roman

Titel: Der Besucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Waters
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als sei sie der ganzen Angelegenheit überdrüssig.
    »Dieser Name ist heute schon viel zu oft gefallen in unserem Haus!«, sagte sie. »Wenn er uns schaden will, dann soll er es nur versuchen. Er wird aber nicht weit kommen. Wie sollte er auch?«
    »Glauben Sie das wirklich?«
    »Ich weiß es. Diese schreckliche Geschichte wird noch ein, zwei Tage vor sich hinbrodeln und dann verrauchen. Sie werden sehen.«
    Sie schien sich ihrer Sache ebenso sicher wie ihre Tochter, also ließ ich die Angelegenheit auf sich beruhen.
     
    Doch Caroline und sie sollten nicht recht behalten. Die Angelegenheit verrauchte keineswegs. Schon am nächsten Tag fuhr Mr. Baker-Hyde nach Hundreds Hall und informierte die Familie darüber, dass er den Fall der Polizei melden würde, falls sie nicht bereit seien, Gyp selbst zu töten. Er saß etwa eine halbe Stunde mit Mrs. Ayres und Roderick zusammen und wirkte zunächst recht vernünftig, wie mir Mrs. Ayres später erzählte. Daher glaubte sie eine Zeit lang tatsächlich, dass sie ihn noch dazu bewegen könne, seine Meinung zu ändern.
    »Niemand bedauert den Unfall Ihrer Tochter mehr als ich, Mr. Baker-Hyde«, sagte sie ihm voll echtem Mitgefühl. »Aber Gyp zu töten kann das auch nicht wieder rückgängig machen. Und was die Wahrscheinlichkeit angeht, dass er noch einmal ein Kind beißt – nun, Sie sehen ja selbst, wie zurückgezogen wir hier leben. Hier gibt es schlichtweg keine anderen Kinder, die ihn provozieren könnten.«
    Diese Formulierung war vielleicht etwas unglücklich gewählt, und ich kann mir gut vorstellen, wie sich Peter Baker-Hydes Gesichtsausdruck und sein Verhalten daraufhin verhärteten. Zu allem Überfluss erschien in diesem Moment Caroline auf der Bildfläche, dicht gefolgt von Gyp. Sie waren im Park spazieren gegangen und sahen vermutlich genauso aus, wie ich sie schon oft erlebt hatte: Caroline voll kerniger Energie, mit zerzaustem Haar, das Gesicht von der frischen Luft gerötet, und der schlammbeschmierte, zufrieden hechelnde Gyp mit seinem offenen rosa Maul. Als Mr. Baker-Hyde die beiden sah, musste er wahrscheinlich daran denken, wie seine Tochter mit ihrem zerstörten Gesicht jämmerlich zu Hause im Bett lag. Später sagte er zu Dr. Seeley, der es seinerseits mir weitererzählte, dass er, hätte er nur ein Gewehr bei sich gehabt, in diesem Moment »den verfluchten Köter eigenhändig erschossen« hätte und »den Rest der verdammten Familie gleich mit«.
    Ein Wort ergab das andere, bis Mr. Baker-Hyde unter finsteren Verwünschungen und Drohungen mit knirschenden Reifen davonbrauste. Caroline sah ihm noch hinterher, die Hände in die Hüften gestemmt; dann begab sie sich zitternd vor Aufregung und Wut in eines der Nebengebäude und suchte ein paar alte Vorhängeschlösser und Ketten heraus. Sie marschierte durch den Park, erst zu dem einen Tor, dann zum anderen, und verriegelte sie mit den Schlössern.
    Das alles erfuhr ich von meiner Haushälterin; sie hatte es von einer ihrer Nachbarinnen gehört, die wiederum eine Cousine von Barrett war, dem Gelegenheitsarbeiter auf Hundreds. Die ganze Angelegenheit war immer noch Thema in sämtlichen umliegenden Dörfern. Einige Leute fühlten mit den Ayres mit, doch die meisten vertraten wohl eher die Ansicht, dass die Sturheit der Familie die unglückliche Situation nur noch verschlimmerte. Am Freitag traf ich zufällig Bill Desmond, und er schien zu glauben, dass es nur noch eine Frage der Zeit sei, bis die Ayres endlich »das einzig Richtige« täten und den armen Hund erschossen. Doch dann hörte ich ein paar Tage lang nichts und fragte mich schon, ob die Dinge nicht vielleicht doch einfach im Sande verlaufen würden. Dann, zu Beginn der folgenden Woche, erkundigte sich eine meiner Patientinnen, die aus Kenilworth kam, wie es denn »diesem armen kleinen Baker-Hyde-Mädchen« ginge – sie fragte es fast beiläufig, aber mit einem bewundernden Unterton in der Stimme. Sie sagte, sie habe gehört, dass ich dabei gewesen sei und dem kleinen Mädchen gewissermaßen das Leben gerettet hätte. Als ich sie höchst verwundert fragte, wer um alles in der Welt ihr denn das erzählt habe, reichte sie mir die neueste Ausgabe einer Wochenzeitung aus Coventry. Ich faltete die Zeitung auseinander und entdeckte einen Artikel, der über den Fall berichtete. Die Baker-Hydes hatten ihre Tochter zur Weiterbehandlung in ein Krankenhaus nach Birmingham gebracht, und dort war die ganze Geschichte offenbar aufgegriffen worden. Es hieß, das

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