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Der Besucher - Roman

Der Besucher - Roman

Titel: Der Besucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Waters
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Rod!«
    »Ist das Ihr Ernst?«
    »Aber natürlich.«
    Er wandte den Blick ab und knetete wieder an seiner Lippe herum. Er schwieg so lange, dass ich schon dachte, er hätte sich wieder völlig in sich zurückgezogen. Doch dann zog er unruhig an seiner Zigarette und fuchtelte mit seinem Glas herum.
    »Also gut. Weiß Gott, es wird eine Erleichterung sein, mich endlich jemandem mitzuteilen. Aber Sie müssen mir erst noch was zu trinken geben. Nüchtern überstehe ich das nicht.«
    Ich schenkte ihm reichlich ein – seine Hände zitterten noch immer zu stark, als dass er es selbst hätte tun können –, und er leerte das Glas in einem Zug, dann bat er um ein weiteres. Und als er das ebenfalls geleert hatte, begann er langsam und stockend zu berichten, was ihm in der Nacht widerfahren war, als die Tochter der Baker-Hydes gebissen wurde.
     
    Er hatte, wie ich wusste, schon von Anfang an seine Zweifel an der Abendeinladung gehabt. Was er bis dahin über die Baker-Hydes gehört hatte, hatte ihm missfallen; die Vorstellung, den »Hausherrn« zu spielen, gefiel ihm ebenso wenig, und er kam sich albern dabei vor, Abendgarderobe anzuziehen, die er schon länger als drei Jahre nicht mehr getragen hatte. Doch um Carolines willen und um seiner Mutter einen Gefallen zu tun, hatte er schließlich eingewilligt. An dem besagten Abend war er tatsächlich auf dem Hof aufgehalten worden, obwohl er schon ahnte, dass wahrscheinlich jeder denken würde, er habe »bloß herumgetrödelt«. Es hatte Probleme mit einem defekten Maschinenteil gegeben. Genau wie Makins schon seit Wochen vorhergesagt hatte, stand die Pumpe kurz davor, ganz zu versagen, und einfach vom Hof zu verschwinden, ohne sich um dieses Problem zu kümmern, kam für Rod natürlich nicht infrage. Dank seiner Zeit bei der Royal Air Force kannte er sich in diesen Dingen ebenso gut aus wie ein Mechaniker, und gemeinsam mit Makins’ Sohn schaffte er es, die Pumpe notdürftig zu reparieren, so dass sie wieder lief, doch die ganze Angelegenheit dauerte bis nach acht Uhr abends. Als er den Park durchquert hatte und eilig durch die Gartentür ins Haus ging, waren die Baker-Hydes und Mr. Morley bereits an der Vordertür angekommen. Rod trug immer noch seine Arbeitskleidung und war mit Staub und Öl verschmiert. Er fürchtete, dass er nicht genug Zeit haben würde, um sich im Badezimmer der Familie ordentlich zu waschen. Stattdessen wollte er sich mit einer Schüssel heißem Wasser auf seinem Waschtisch begnügen. Er läutete nach Betty, doch sie war noch mit den Gästen im Salon beschäftigt. Er wartete einige Zeit, dann läutete er abermals und ging schließlich in die Küche, um sich selbst das Wasser zu holen.
    Nun geschah, wie er sagte, die erste Merkwürdigkeit. Seine Abendgarderobe lag auf dem Bett bereit. Wie viele ehemalige Militärangehörige ging er mit seiner Kleidung sehr penibel und ordentlich um; er hatte die Kleidungsstücke am Vormittag abgebürstet und sie dann selbst bereitgelegt. Nachdem er aus der Küche zurückgekehrt war und sich hastig gewaschen hatte, zog er Hose und Hemd an und suchte dann nach seinem Hemdkragen, konnte ihn aber nicht finden. Er hob das Jackett und schaute darunter. Er sah unter dem Bett nach – er schaute überall, an jedem noch so unwahrscheinlichen Platz –, doch er konnte den verflixten Kragen nirgendwo entdecken. Das war umso ärgerlicher, als es sich bei dem gesuchten Kragen um einen festlichen Stehkragen handelte, den er zu dem Hemd tragen wollte – einen der wenigen weder geflickten noch gewendeten Kragen, die er noch besaß –, daher konnte er auch nicht einfach einen anderen aus der Schublade ziehen.
    »Das klingt doch wirklich idiotisch, oder?«, sagte er niedergeschlagen. »Mir war schon zu jenem Zeitpunkt klar, dass es idiotisch war. Ich wollte sowieso nicht zu dieser blöden Veranstaltung gehen, aber da stand ich nun – angeblich der Gastgeber, der Herr auf Hundreds – und durchsuchte wie der letzte Trottel das ganze Zimmer und musste alle warten lassen, weil ich bloß einen einzigen anständigen Stehkragen besitze.«
    Zu jenem Zeitpunkt tauchte dann Betty auf, die von Mrs. Ayres geschickt worden war, um herauszufinden, was ihn so lange aufhielt. Er erzählte ihr, was los war, und fragte, ob sie vielleicht den Kragen weggeräumt habe; doch sie sagte, sie habe ihn seit dem Morgen nicht mehr gesehen, als sie ihn zusammen mit seiner übrigen Wäsche in sein Zimmer gebracht habe. »Dann hilf mir suchen, in Dreigottesnamen!«,

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