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Der Beutegaenger

Titel: Der Beutegaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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spürte. Stattdessen griff er wieder nach der Chipstüte.
    Requiem für eine Freundin . So lautete die Widmung, die der unbekannte Schreiber seinen bizarren Gedichten mit auf den Weg gegeben hatte.
    Requiem für eine Freundin ...
    Eine Freundin ...
    Wer war diese Freundin? Existierte sie tatsächlich? Lebte sie, hatte sie gelebt, und wenn ja: wann? Bedeutete das Wort Requiem , dass sie tot war? Verhoeven schluckte. Die Chips machten ihn durstig, aber er hatte keine Kraft, aufzustehen und sich ein Glas Wasser zu holen. Zweifelsohne benutzte der Mörder die Gedichte als eine Art Vorlage. Und damit war der Zusammenhang zwischen den Morden an Susanne Leistner und Tamara Borg geklärt, oder nicht? Aber was half das eigentlich? Wonach sollten sie suchen?
    Der Mörder stellte die Szenarien nach, die die Gedichte schilderten. Aber für wen? Für sich selbst? Wollte er lediglich vor sich sehen, was der Dichter beschrieben hatte? Oder gab es doch einen Adressaten? Wo lag das Motiv?
    Verhoeven starrte auf die Verse, bis die Zeilen vor seinen Augen verschwammen. Nach welchen Kriterien wählte der Mörder seine Opfer aus? Was verband Susanne Leistner mit Tamara Borg? Beide hatten Sport getrieben. Beide hatten einander nicht gekannt, oder doch? Mein Leben ist voller Fragen, die ich nicht beantworten kann, dachte er. Warum will meine Frau noch einmal studieren? Wäre Grovius an diesem Fall gescheitert? Hatte sein Mentor einfach Glück gehabt, dass er es in all den Jahren, in denen er diesen Job gemacht hatte, nie mit einem Fall zu tun bekommen hatte, dem er nicht gewachsen war? Oder hatte er in solchen Fällen tatsächlich »Fünfe gerade sein lassen«, wie Winnie Heller in ihrer Wut behauptet hatte? Ein bisschen Schwund ist immer , hatte Grovius oft gesagt. Washatte er damit gemeint? Ich spreche von neuen Impulsen , plapperte Hinnrichs hinter Verhoevens Stirn. Von anderen Ansätzen. Einem neuen Blickwinkel abseits der erstarrten Routine...
    Tamara Borg ist Buchhändlerin gewesen, zwang sich Verhoeven, seine Gedanken wieder auf den Fall zu richten. Hatte sie eine besondere Beziehung zu Lyrik gehabt? Hatte sie die Gedichte, um die es ging, vielleicht sogar gekannt? Und Susanne Leistner? Wir sehen jetzt das Muster, das den Morden zugrunde liegt, dachte er, und wir sind trotzdem keinen Schritt voran gekommen. Es würde weitere Morde geben. Mindestens zwei. Anhand dieser verdammten Gedichte waren sie sogar in der Lage, vorauszusagen, welche Szenarien sie an den Tatorten vorfinden würden. Aber wer würden die Opfer sein? Wie sollten sie das Morden stoppen, wenn sie das Bindeglied nicht kannten? Nach welchen Kriterien wählte der Täter seine Opfer aus? Das war und blieb die Frage, um die sich alles drehte. Und solange sie diese Frage nicht beantworten konnten, wussten sie gar nichts.
    Obwohl es auf Mitternacht zuging, griff Verhoeven zum Telefon und wählte die Nummer von Gernot Leistner, doch nach kurzem Klingeln meldete sich, wie bereits in den vergangenen Tagen, lediglich der Anrufbeantworter. Er ist nie da, dachte Verhoeven, obwohl er zu Hause arbeitet. War das nicht seltsam? Er hinterließ eine Nachricht, nannte dabei auch seine private Handynummer und bat dringend um Rückruf zu jeder Tages- und Nachtzeit, auch wenn er es für durchaus denkbar hielt, dass Susanne Leistners Witwer verreist war, geflohen. Oder er lag irgendwo in einer Psychiatrie. Nervenzusammenbruch. Wenn ich morgen nichts höre, muss ich jemanden hinschicken, der das überprüft, dachte Verhoeven. Nachdem er den Hörer aufgelegt hatte, kontrollierte er noch zweimal, ob sein Handy auch tatsächlich eingeschaltet und der Akku aufgeladen war, bevor er ins Schlafzimmerhinaufging, wo Silvie bereits in einem tiefen, traumlosen Schlummer lag. Verhoeven ging ins Bad, wobei er es sorgsam vermied, sein übermüdetes Gesicht im Spiegel anzusehen, duschte, putzte sich die Zähne und setzte sich zu seiner Frau aufs Bett. Sie lächelte, als er ihren Nacken küsste, machte sich aber nicht die Mühe aufzuwachen. Er wusste, dass auch er versuchen musste zu schlafen. Wenigstens ein paar Stunden. Er musste sich irgendwie aufrechterhalten. Sonst würde er zusammenbrechen. Und damit war niemandem gedient. Zugleich hatte er das dringende Gefühl, sich keinen Schlaf, keinen Moment der Unaufmerksamkeit gönnen zu können.
    Seufzend öffnete er die Schublade seines Nachtschranks, nahm die Uhr ab, die Grovius ihm geschenkt hatte, und legte sie in das dazugehörige Etui zurück. Dann trat

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