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Der Beutegaenger

Titel: Der Beutegaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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an die Segensformel denken, die die Sternsinger, rotwangige Jungen und Mädchen in Fantasiekostümen, zu Beginn eines jeden Jahres über den Eingang zum Haus seiner Pflegeeltern geschrieben hatten. C+M+B. Weiße Kreide auf billigem Sperrholz. Christus mansionem benedicat . Der Herr schütze dieses Haus. Es wirkt nicht, dachte er, der Segen bleibt aus. Vielleicht, weil sie es überall hinschreiben. An die Tür eines jeden, der dafür bezahlt. Er rückte seine Krawatte zurecht und drückte auf die Klingel. Es gehörte zu den unangenehmsten Aufgaben seines Berufs, Angehörige von Opfern schon so kurz nach einer Tat mit schmerzhaften Fragen zu konfrontieren, aber ihm war auch bewusst, dass es im Interesse einer schnellen Aufklärung nun einmal notwendig war. Trotzdem spürte er auf einmal etwas wie Angst in sich aufsteigen. Der Anblick der toten jungen Frau im Wald hatte in ihm ein Gefühl unmittelbarer Betroffenheit ausgelöst, von dem er wusste, dass er es unbedingt vermeiden musste. Er hatte im Zuge seiner Arbeit schon eine ganze Reihe von Leichen gesehen. Auch solche, die ähnlich schlimm zugerichtet gewesen waren. Und doch war an dieser Toten etwas Besonderes gewesen. Die Blume, die in der blutigen Wunde wie in einer Vase gesteckt hatte. Das war eine unnötige, zynische Geste des Mörders, die ihn zutiefst beunruhigte. Oder lag es nur daran, dass er so kurz nach Grovius’ Tod einfach keine Blumen mehr ertrug?
    Es dauerte lange, bis die Tür geöffnet wurde. Im Türrahmen stand ein hagerer Mann in Jeans und Sweatshirt. Die Augen hinter den runden Brillengläsern waren gerötet. Offenbar hatte er geweint.
    »Herr Leistner?«
    Er nickte.
    »Kriminalpolizei. Dürfen wir uns kurz mit Ihnen unterhalten?«
    Der Mann trat einen Schritt zur Seite und machte eine etwas unbeholfene Geste, die wohl Zustimmung ausdrücken sollte und zugleich als Aufforderung zum Eintreten zu verstehen war. Unter seinem linken Auge flimmerte ein Muskel.
    Verhoeven folgte seiner Kollegin in einen geräumigen Flur, an dessen Wand unzählige Paare Schuhe standen. Pumps und Stiefel. Sandaletten, Pantoffeln. Kinderschuhe, alle fein säuberlich aufgereiht und mit bunten Stofftüchern unterlegt. Der Anblick erinnerte Verhoeven an Ninas Tagesstätte, wo die Kinder in der kalten Jahreszeit ihr durchnässtes Schuhwerk vor den Gruppenräumen auszogen und in ganz ähnlicher Weise abstellten. Wie es den Erzieherinnen gelang, am Ende des Tages jedem Kind wieder das richtige Paar Schuhe zuzuordnen, war ihm schon immer schleierhaft gewesen.
    Winnie Heller blieb neben einem rustikalen Garderobenschrank stehen und sah sich unschlüssig nach Susanne Leistners Witwer um, der noch immer schweigend neben der Eingangstür verharrte und auf den alten, aber vorbildlich gepflegten Parkettboden hinunterstarrte. Als das Schweigen um ihn herum zu lange dauerte, blickte er auf. Irritiert, als könne er sich nicht erklären, wie die beiden Polizisten in seine Wohnung gekommen waren. »Entschuldigen Sie«, sagte er hastig. »Gehen Sie ruhig durch. Geradeaus.« Seine Stimme war warm und unerwartet dunkel.
    Durch eine geöffnete Flügeltür traten die beiden Kommissarein ein annähernd quadratisches Wohnzimmer, dessen Fenster auf den Garten hinausgingen. Es war hell und freundlich eingerichtet und duftete angenehm nach Holz und Honig. Ein blondes Mädchen von geradezu ätherischer Zartheit saß auf einem Baumwollplaid vor der Glastür, durch die man in den Garten hinausgelangte, und spielte mit bunten Holzbauklötzchen. Die Kleine blickte nicht auf, als ihr Vater mit den Besuchern das Zimmer betrat. Verhoeven registrierte, dass die Knöpfe an ihrem Nickij äckchen die Form von Blumen hatten.
    »Nehmen Sie doch bitte Platz«, sagte Gernot Leistner und raffte hastig ein paar verstreute Spielsachen zusammen, die auf der Couch lagen. Dann setzte er sich in einen der Sessel, den beiden Polizisten gegenüber. »Möchten Sie ... Kann ich Ihnen irgendetwas anbieten?«
    Verhoeven schüttelte den Kopf, ohne sich mit seiner Kollegin verständigt zu haben. Erst hinterher kam ihm der Gedanke, dass sie sich übergangen fühlen könnte. »Es tut uns sehr leid, dass wir Ihnen so wenig Zeit lassen können, aber es ist in Fällen wie diesem sehr wichtig, dass wir so schnell wie möglich an Informationen kommen.«
    Gernot Leistner nickte und starrte geistesabwesend auf seine Hände hinunter. »Sie wollten Amelie mitnehmen«, sagte er, als Verhoeven eben zu zweifeln begann, ob er sich ihrer

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