Der Beutegaenger
antwortete die junge Frau. »Gestern fand jedenfalls die Vorausscheidung statt.«
»Herr Gebroth ist gestern überhaupt nicht hier im Salon gewesen?«, hakte Verhoeven nach.
»Nein.« Die Friseurin blickte ihn verwundert an. »Warum fragen Sie?«
»Eine seiner Kundinnen hatte gestern einen Termin bei ihm«, erwiderte Winnie Heller. »Susanne Leistner.«
»Oh ja, das ist richtig.« Die Angestellte schenkte ihr ein routiniertes Lächeln. »Frau Leistner war gestern Mittag hier. Zuerst hat sie sich ziemlich geärgert, dass Herr Gebroth nicht da war, um sie persönlich zu bedienen, aber dann hat sie sich schließlich doch mit mir begnügt.« Ihre Augen zwinkerten amüsiert. »Wahrscheinlich hatte der Chef einfach vergessen, dass er nach Hamburg muss, als er den Termin mit ihr ausgemacht hat. Aber bei Frau Leistner sind sowieso meist nur die Spitzen nachzuschneiden, und das hat sie wohl letztendlich sogar mir zugetraut.« Sie blickte sich flüchtig nach ihrer Kundin um, die zu ihrer offensichtlichen Zufriedenheit nach wie vor an ihrem Platz saß und lustlos in einem Modejournal blätterte.
»Können Sie uns sagen, in welcher Stimmung Frau Leistner war, als Sie sie gestern bedient haben?«, fragte Verhoeven.
»Nun ja . . .« Die Friseurin dachte einen Augenblick nach. »Wie schon gesagt, hat sie sich zunächst über Herrn Gebroths Abwesenheit geärgert.«
»Haben Sie sich mit ihr unterhalten?«
Auf dem Gesicht der Angestellten erschien ein nachsichtiges Lächeln. »Wissen Sie, es gibt Frauen, bei denen man denEindruck nicht loswird, dass sie überhaupt nur zum Friseur kommen, weil sie sich unterhalten möchten.« Sie seufzte und blickte vielsagend zu ihrer Kundin hinüber. »Aber Frau Leistner gehört ganz bestimmt nicht zu dieser Sorte. Oder anders ausgedrückt: Ich habe ziemlich schnell gemerkt, dass es ihr lieber ist, wenn ich meine Klappe halte.«
»Wirkte sie irgendwie besorgt? Oder vielleicht nervös?«
Die junge Frau schüttelte den Kopf. »Ganz und gar nicht. Sie machte einfach den Eindruck einer Frau, die ihren Gedanken nachhängen möchte und nicht viel von Small Talk hält. Aber . . .« In ihre Augen schlich sich ein Hauch von Wachsamkeit. »Warum stellen Sie mir eigentlich all diese Fragen?«
»Frau Leistner ist gestern Abend ermordet worden«, antwortete Verhoeven ohne Umschweife, auch, weil er sehen wollte, wie sie reagierte.
Die Friseurin riss die Augen auf. »Oh Gott, das ist ja furchtbar.« Sie stutzte. »Haben Sie schon ... Ich meine ... Weiß man, wer . . . ?«
Verhoeven schüttelte den Kopf. »Sie werden sicherlich verstehen, dass wir uns unter diesen Umständen für jede Kleinigkeit interessieren, die Frau Leistners Verhalten am Tag ihres Todes betrifft«, sagte er eilig, bevor die Angestellte auf die Idee kam, neugierige Fragen zu stellen.
»Ja sicher, das verstehe ich, absolut«, entgegnete die Friseurin zerstreut, bevor sie eine ganze Weile schweigend nachdachte. »Wie gesagt, habe ich Frau Leistner gestern zum ersten Mal bedient«, meinte sie schließlich. »Deshalb kann ich leider auch nicht beurteilen, ob sie sich anders verhielt als sonst. Ich kann nur noch einmal wiederholen, dass mir nichts an ihrem Verhalten merkwürdig vorkam.« Sie zuckte beinahe bedauernd mit den Schultern. »Frau Leistner ist nicht besonders gesprächig gewesen, aber sie wirkte auch nicht gerade bedrückt.«
Verhoeven nickte und reichte der Angestellten seine Karte. »Wenn Ihnen noch irgendetwas einfällt, rufen Sie uns bitte an.«
»Das werde ich«, entgegnete die Friseurin, indem sie die Karte in der Tasche ihrer Schürze verschwinden ließ. »Hoffentlich finden Sie den Kerl.«
Die Verwaltungsdirektorin des Altenheims, Gundula Erkelenz, empfing Verhoeven und seine Kollegin in ihrem Büro. Sie war eine große Frau mittleren Alters mit humorvollen, kohlschwarzen Augen und einer Unmenge silbrig schimmernder Löckchen auf dem Kopf. Sie verzichtete auf alle Floskeln der Betroffenheit und kam ohne Umschweife zur Sache.
»Ich will gern alles tun, um Sie bei Ihren Ermittlungen zu unterstützen, auch wenn ich keine Ahnung habe, wie ich Ihnen weiterhelfen kann. Ich kannte Frau Leistner zwar seit Jahren, hatte aber nie engeren Kontakt zu ihr.«
»Seit wann hat Frau Leistner hier gearbeitet?«
»Seit August 1999.« Gundula Erkelenz warf einen kurzen Blick in eine Akte, die aufgeschlagen auf ihrem Schreibtisch lag. Sie hatte ganz offenbar mit Fragen wie dieser gerechnet und sich entsprechend
Weitere Kostenlose Bücher