Der Beutegaenger
Zehen krallten sich in den Bettvorleger, der weich und hochflorig war. Wie Fell. Katzenfell ...
Minnie!
Sie erstarrte und presste sich eine Hand vor den Mund. Hatte sie den Namen tatsächlich laut herausgeschrien? Oder nur gedacht? Sie überlegte fieberhaft, aber sie konnte es nicht sagen. Ich werde allmählich verrückt, dachte sie. Irgendwann musste das passieren. Niemand würde das aushalten. Nicht über einen so langen Zeitraum. Du bist krank, frohlockte eine Stimme tief in ihr. Ein fremder Klang. Nichts, was sie je zuvor gehört hatte. Du bist genauso krank wie er.
Sie schloss die Augen und versuchte verzweifelt, sich wieder auf den Blutgeruch zu konzentrieren, der noch immer dicht vor ihrer Nase schwebte. Ein vertrauter Geruch. Ein vertrautes Bild, das aus ihrem Innersten heraufdämmerte. Vorsichtig, als fürchte sie, enttäuscht zu werden, machte sie die Augen wieder auf und ... Ja! Da lag sie! Zu ihren Füßen. Minnie! Sie fiel auf die Knie. Etwas knackte, als sie auf dem Boden aufschlug, so als splittere irgendwo in ihrem Bein ein Knochen. Aber das interessierte sie nicht. Nicht jetzt. Sie beugte sich vor, um besser sehen zu können. Er hatte sie gesäubert. Das verklebte Fell mit einem Tuch gereinigt. Er war immer sehr sorgfältig gewesen. In allem. Ein Pedant, absolut detailbesessen. Sie sollte in die Falle gehen, die er für sie errichtet hatte und die er nun aus sicherer Distanz beobachtete. Es genügte ihm nicht, ihr wehgetan zu haben. Er wollte zusehen, wie sie sich zu ihrer Katze hinunterbeugte. Er wollte ihre Hoffnung spüren, ihr Bemühen, das geliebte Tier zu retten.
Minnie, Liebling! Was hast du denn? Was ist mit dir?
Die winzige blassrote Zunge hängt seitlich zwischen den Zähnen hervor. Da weiß sie eigentlich schon Bescheid. Aber sie will es nicht glauben. Sie kann nicht. Noch nicht. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Heißt es nicht so? Sie beobachtet ihre wild zitternden Hände, die nach dem dunklen Bündelgreifen. Fühlt das Gewicht des zierlichen Körpers, der nurmehr lauwarm ist. Trotzdem hebt sie ihre Katze hoch. So behutsam sie kann, zieht sie das weiche Knäuel an sich. Doch der Schnitt ist bis zur Wirbelsäule durchgezogen. Der Kopf klappt nach hinten, Barthaare streifen ihren nackten Arm, und klaffend öffnen sich ihr die tiefen Wunden an der Kehle des Tiers. Sie schreit und lässt Minnie fallen, ein Umstand, den sie sich nie verzeihen wird – dass sie den kleinen Kadaver schutzlos auf der Terrasse liegen lässt und ins Haus zurückstürzt. In die Arme ihres Vaters. Ihre Hände an seinem Rücken sind fast unbefleckt. Kaum noch Blut, das hätte herausfließen können. Kein Leben mehr. Nichts als ein toter Fellsack.
Ich habe das mit deiner Katze gehört.
Seine Augen sind eifrig. Sie suchen nach dem Schmerz, den er ihr bereitet hat, aber sie werden nicht fündig. Sie hatte eine ganze Nacht, sich zu wappnen. Zehn Stunden, die Spuren zu tilgen.
Tut mir leid, dass du so traurig bist .
Sie war krank.
Sein Blick seziert ihr Gesicht, während der Rest von ihm ihr den Weg versperrt. Was willst du damit sagen?
Ich will sagen, dass sie ohnehin bald gestorben wäre . Es klingt durchaus glaubhaft, wie sie das sagt. Selbst in ihren eigenen kritischen Ohren. Sie hat sich im Griff. Die Erkenntnis ist verbunden mit einem elementaren Triumphgefühl. Sie ist imstande, etwas zu tun, das er nicht erwartet hat. Es gelingt ihr, ihn zu täuschen. Unvorhersehbar zu sein. Dieses Gefühl ist es, das sie kühn hinzufügen lässt: Vielleicht ist es am Ende sogar gnädiger so ...
Etwas in seinen Augen zuckt unter ihren Worten zusammen, aber sie vermag nicht mit letzter Sicherheit zu sagen, ob es tatsächlich der erhoffte Ärger ist, der die Veränderungbewirkt. Nein, wenn sie es genau bedenkt, ist es wohl eher... Nein Nein! Sie fühlt, wie sich eine eisige Kälte über ihren Körper breitet, und sie weiß plötzlich, dass sie einen gravierenden Fehler gemacht hat. Er fasst das, was ich sage, als Ansporn auf, denkt sie, ohne einordnen zu können, woher ihr diese Erkenntnis zufliegt. Es ist eine Art Wettbewerb. Er spielt mit mir, ein perverses, gottverdammtes Spiel.
Weg Flucht Bevor er ...
Wo willst du hin?
Ich habe Schule, wie du weißt.
Sie dreht sich nicht um.
Und er scheint ihr auch nicht zu folgen. Nicht dieses Mal.
Am Abend fahren sie in den Wald. Nur sie und ihr Vater. Die Mutter spielt derweil ein bisschen Normalität. Damit er keinen Verdacht schöpft. Es gibt eine Stelle dort im Wald, die mag
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