Der Bienenfresser
vier Uhr morgens«, hatte mir die Dame mit der tiefen Stimme geraten,
»sonst triffst du dort nur Touristen und jene Aasgeier, die angeschickerte Lehrmädchen abschleppen.« Das Space an der Playa d’en Bossa, auch als ›Rolex-Beach‹ bekannt, öffnete erst um acht Uhr früh, hatte sie mir noch verraten und war dann in eine der kleinen Gassen unterhalb der Stadtmauer eingebogen.
Links und rechts der Tür, in der sie verschwunden war, saßen zwei aufgedonnerte Paradiesvögel, die mich mit angewidertem Grinsen taxierten, von der Hose bis zum sandfarbenen Hemd; am meisten aber störte sie, das war deutlich zu sehen, mein ungeschminktes Gesicht.
Durch einen Torbogen und über mehrere Treppchen erreichte ich wieder das Hafenviertel. Mal ließ ich den nicht enden wollenden Urlauberstrom an mir vorbeiziehen, mal stemmte ich mich dagegen, warf einen Blick auf die Klapptische der Hippienachfolger, von denen einige selbst gefertigte Dinge anboten, doch die meisten verhökerten Ramsch aus asiatischen Fabriken. Schnell merkte ich, dass ich bei den Straßenhändlern mit meinen Fragen nach Dora Klugmann nicht weiterkam.
Also ging ich in Tätowier-Studios und in Höhlen, die mittels Tarotkarten und Pendel einen Blick in die Zukunft versprachen. Überall legte ich das Foto der Gesuchten vor.
Doch die Gestalten in den Fantasiekostümen verstummten, sobald sie merkten, dass sie mit mir kein Geschäft machen konnten. Weder stand mir der Sinn nach einer tätowierten Rose noch sollte man mir einen Ring in die Augenbraue stechen und auf keinen Fall wollte ich etwas über meine Zukunft wissen.
Also versuchte ich es weiter in Kneipen und Boutiquen. Ohne Erfolg.
In Gedanken ging ich noch einmal das Gespräch mit meiner Auftraggeberin durch. Neben diesem Anhaltspunkt in Richtung Esoterik hatte Verena von einem Mann gesprochen, mit dem Dora bekannt war. Ich hatte sie nach dem Namen gefragt und sie hatte gesagt, Kappes oder so, ein Maler, mehr aber wisse sie auch nicht.
Immerhin etwas.
Ich fragte in kleinen Ateliers und Kunstläden nach diesem Namen und man verwies mich an eine Galerie innerhalb der Stadtmauern, die einen deutsch oder holländisch klingenden Namen hatte. Zum Glück hatten die Geschäfte in Ibiza bis in die Nacht hinein geöffnet, so auch diese Kunstgalerie.
Die Bilder dort hingen an unverputzten Wänden, dafür hatte die Galeristin umso mehr Tünche aufgelegt – Puder, Mascara, Lippenstift, Lidschatten, die ganze Palette. Mit Abstand war die Frau der auffallendste Farbfleck in Raum. Aus Angst, dass ihre Gesichtsmaske zerbröseln könnte, stand sie völlig reglos neben einem Pult aus Naturstein.
Ich ging auf sie zu. »Es gibt da einen deutschen Maler, der auf Ibiza lebt, Kappes oder so ähnlich, mit K oder C, dessen Werk mich außerordentlich…«
»Coudragen«, sagte sie und deutete auf ein zweigeteiltes Gemälde mit weiß geleimten Fadenstrukturen, »von Eduard Micus, deutscher Maler, Schüler von Willi Baumeister.«
»Micus«, ich schüttelte den Kopf, »K oder C müssten am Anfang stehen.«
Sie führte mich zu einer Bilderserie ganz in Schwarz-Grau-Weiß. »Formalabläufe von Erwin Bechtold, kommt aus Deutschland, Köln, Schüler von Fernand Leger, Paris.« Ihrem Akzent nach war sie eine Schülerin von Rudi Carrell.
Nun, bei Bechtold war das C schon ziemlich weit vorn, aber auch nicht exakt am Anfang. Meine Nachforschungen bei dieser Kunstschnecke gestalteten sich reichlich zäh. Ich fragte sie, ob es noch andere Bilder von deutschen Malern gebe, die auf der Insel lebten, die doch so sonnenüberflutet sei.
»Vielleicht ein Werk, das etwas, ehm, farbenfroher…?«
»Windmühle im Abendlicht?«, sagte sie mit spitzem Mund und blickte auf ihre Armbanduhr.
»Ja, genau«, strahlte ich sie an. »Mit Don Quijote.«
Sie betätigte den Lichtschalter der Wandstrahler und warf mich aus den heiligen Hallen hinaus. »Touristenkunst finden Sie auf der Straße.«
Guter Ratschlag!
In Ibizas Altstadt gab es so einige Maler, die Windmühlen mit und ohne Don Quijote im Programm hatten. Doch alle signierten mit wohlklingenden spanischen Namen und keiner kannte Dora Klugmann.
Schließlich blieb ich bei einem Porträtmaler stehen, einem Mann mit grauem Zottelbart, Nickelbrille und buntem Strickkäppchen. Seine Kundin konzentrierte sich darauf, hübsch auszusehen, während der Künstler völlig entspannt den Kohlestift über das Papier gleiten ließ; geschickt gab er seiner Kundin eine Schönheit, die weit von der
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