Der Bienenfresser
denke, Sie haben keinen Grund, hochnäsig zu sein.«
Kristine schien tatsächlich in ihrer Ehre als Tänzerin gekränkt.
Nachdem ich mich entschuldigt hatte, erzählte sie weiter:
»Die Männer klatschten, wie sonst die Urlauber nach der Landung. Einer legte Dora den Arm um die Hüfte. Ob sie dadurch tatsächlich aus dem Gleichgewicht kam oder nur so tat, jedenfalls blieb sie auf dem Schoß des Mannes eine Weile sitzen. Das war der Moment, in dem der Kopilot durch den Vorhang ein paar Aufnahmen machte, für unser
Familienalbum, wie er sagte.«
»Verstehe, die Flamingo-Familie.«
»Später mussten sich alle anschnallen. Die Maschine rüttelte und je näher wir den Balearen kamen, desto größer wurden die Turbulenzen. Kurz darauf mussten auch wir Stewardessen uns anschnallen, weil die Maschine zum Landeanflug ansetzte.
Dora, die normalerweise neben mir saß, fehlte. Auch der Passagier, mit dem sie herumgemacht hatte, befand sich nicht an seinem Platz. Dafür war die Bordtoilette belegt. Spaß hin, Sonderbehandlung her, aber das war nun wirklich unter unserem Niveau.«
»Vielleicht war es ja nur Ihre schmutzige Fantasie.«
»Fantasie? Die Geräusche waren eindeutig und recht laut, und übertönt wurden sie erst, als der Pilot ein unerwartetes Manöver flog und die Maschine anschließend etliche Meter durchsackte. Die Klappe eines Handgepäckfachs sprang auf, ein Gegenstand fiel heraus und auf der Bordtoilette war irgendetwas zu Bruch gegangen. Durch die Tür drang ein Stöhnen, das aber keineswegs mehr lustvoll klang.«
»Was machten Sie?«
»Ich blickte aus dem Fenster und sah das Meer so nah wie nie zuvor bei einer Landung. Der Pilot hatte die Maschine noch rechtzeitig abgefangen. Er flog eine Schleife, die Landebahn kam in Sicht. Die Räder setzten auf, hart, sehr hart sogar. Über der Musik, die nun ertönte, war die Stimme des Piloten zu hören: ›Meine Damen und Herren, wir sind soeben auf Ibiza aufgeschlagen‹. Die Passagiere lachten erleichtert auf.
Während die Maschine zu ihrem Platz rollte, öffnete ich die Tür zur Bordtoilette.«
»Was sahen Sie?«
Kristine fuhr sich durchs Haar. »Einen Passagier, der sich bemühte, den Gürtel seiner Hose zu schließen, und eine Kollegin, die aus einer Kopfwunde blutete und deren Augenlider flatterten. Der Spiegel war zerbrochen, auf den Scherben im Waschbecken und auf der Ablage darüber lag feiner weißer Staub – und das war kein Babypuder.«
»Koks?«, fragte ich.
Sie nickte.
»Und dann?«
»Ein Ambulanzwagen brachte Dora ins Krankenhaus, eine Platzwunde, mehr nicht. Ihren Job war sie los, ich meinen übrigens auch. Ich fing dann beim Club Tanit an. Von irgendwas müssen wir ja alle leben.«
Kristine erhob sich aus dem Sand und ging zum Wasser. Die kleinen ausrollenden Wellen umspielten ihre Knöchel. Weil ich meine Stiefel nicht ausziehen wollte, stand ich ziemlich dumm da und musste, je weiter sie ins Wasser lief, desto lauter meine Fragen stellen.
Ich fragte die ehemalige Flugbegleiterin, ob man sie und Dora zu dem Vorfall vernommen hätte. Auch wollte ich, viel wichtiger noch, die Telefonnummer wissen, unter der sie Dora zuletzt erreicht hatte. Keine Antwort. Sie tat, als könne sie mich nicht verstehen.
Beklagen konnte ich mich nicht. Kristine hatte mir schon erstaunlich viel erzählt. Und alles deckte sich mit dem, was ich mir nach der Lektüre der Zeitungsnotiz zusammengereimt hatte. Die Sache lag unter dem großen Teppich. An einem ausführlichen Bericht über ausgeflippte Politiker und Geschäftsleute hatten weder die spanischen noch die deutschen Behörden Interesse. Von den Journalisten an Bord drohte keine Gefahr, das waren Hofberichterstatter, Nutznießer, die nur eine Sorge kannten: die nächste Reise ans Mittelmeer aus eigener Tasche bezahlen zu müssen.
Als Kristine sah, dass ich mich zu dem Platz in den Dünen zurückbewegte, lief sie mir nach. Sie spritzte mir Wasser in den Nacken. Eine neckische Handlung, die ich nicht erwartet hatte.
In mein erstauntes Gesicht sagte sie, übertrieben lachend:
»Sehen Sie den Mann unter dem Strandschirm, der beobachtet uns. Machen Sie mit, wir sind ein Liebespaar.«
Nachdem wir noch eine Weile herumgealbert hatten, blickte ich mich um. Es war der Gast, den ich in der Bar Anita gesehen hatte. »Kennen Sie den Mann?«
»Er war mal in der Show, hat mich dort so komisch angesehen.«
»Na ja, gehört doch zum Geschäft, oder?«
»Er ist mir unheimlich.«
Kristine zitterte, aber mit dem
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