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Der Bienenfresser

Der Bienenfresser

Titel: Der Bienenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklaus Schmid
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Anhaken passiert mir nur, wenn ich sehr aufgeregt bin. Jetzt war ich nicht nur aufgeregt, ich hatte tierischen Bammel. Ich schwitzte am ganzen Körper, und das nicht nur wegen der Sommerhitze.
    Die Ratte kroch in meinem Hosenbein hoch.
    Der Dünne sah, wie sie sich unter dem Stoff bewegte, blickte auf seine Armbanduhr und fragte: »Worum wetten wir, Gerry?«
    »Einen Hunderter«, antwortete Latzhose, drehte sich zu mir und sagte, während er wieder beruhigend seinen Hund streichelte: »Und mit Ihnen wette ich, dass Sie ab heute einen großen Bogen um diese Finca machen – spätestens dann, wenn Ihnen die Ratte die Geschlechtsorgane angebissen hat.«
    Die Ratte näherte sich bereits meiner Leistengegend.
    »Und bis dahin können wir uns noch über einen guten Einstieg zu einer Geschichte unterhalten. Wie wär’s mit: Professor Bingos Schnupfpulver, eine der etwas weniger bekannten Storys von Raymond Chandler, und die beginnt so:
    ›Um zehn Uhr morgens schon Tanzmusik.‹«
    Er sah mich erwartungsvoll an. »Das hat Schwung, nicht wahr, ist flott und lebhaft. Im Gegensatz zu unserer lahmen Freundin hier.«
    Seine Hand näherte sich meinem Schoß, mit ausgestrecktem Finger stieß er kräftig gegen die Ratte, die auch sofort reagierte, indem sie sich ein paar Mal um die eigene Achse drehte und dann zubiss.
    Ich zuckte zusammen.
    »Oder dieser Einstieg hier aus Bay City Blues, aufgepasst!
    ›Es muss ein Freitag gewesen sein, denn der Fischgeruch vom Restaurant des Mansion House Hotel war so stark, dass man eine Garage darauf hätte bauen können.‹ Garage auf einem Geruch bauen, doll, was?!«
    »Warum nicht einen Wolkenkratzer?«
    »Na, na, keine Kritik am Altmeister!«
    Der Dünne blickte auf seine Uhr. »Eine Minute dreißig«, sagte er wie ein Profi aus der Medienbranche. »Soll ich etwas Feuer machen, Gerry? Ich will sie quieken hören. Ihn auch.«
    »Kommt alles, Terry, kommt alles. Zuerst das Quiz.«
    »Du immer mit deinem Literaturscheiß. Er soll uns lieber einen blasen.«
    »Wenn du dich langweilst, Terry, lass eine zweite in die Röhre!«
    Er tat es.
    Je höher die zweite Ratte kroch, desto nervöser wurde die erste; sie versuchte auszubrechen und verfing sich zwischen Hose und Unterwäsche. Ich biss die Zähne aufeinander, um nicht hysterisch aufzuschreien.
    Im Plauderton sagte mein Peiniger: »Natürlich heißt er nicht Terry, wie ich nicht Gerry heiße. Apropos Terry, ich will Ihnen eine Chance geben. Wenn Sie folgenden Satz vervollständigen, sind Sie erlöst. Also: ›Als ich Terry Lennox zum ersten Mal zu Gesicht bekam…‹ Nun? Es gilt!«
    Wieder stieß sein Finger gegen die beiden Ratten, die sich inzwischen ineinander verbissen hatten.
    Meine Knie zitterten, mein Hemd war klatschnass und meine Stimme war auch nicht besonders fest: »Als ich Terry Lennox zum ersten Mal zu Gesicht bekam, lag er betrunken in einem…« Ich machte eine Pause und fuhr fort: »… lag er betrunken in einem Einkaufswagen von Tengelmann.«
    »Herr Schlömm, Sie müssen nicht den Helden spielen und witzig sein. Also: ›… lag er betrunken in einem…‹ – Los, weiter! Ihre zweite Chance.« Seine Hand strich über die Ratte, die sich nahe meinen Hoden befand. Ihre Zähne gruben sich in mein Fleisch.
    »… lag er betrunken in einem Rolls-Royce… – Ohhh!«
    »Gut. Lassen wir gelten. Und wo?«
    »… draußen vor der Terrasse des Dancers.«
    »Bravo! Vielleicht noch den Titel der Geschichte?«
    »Der lange Abschied.«
    »Bingo!«
    Ich wusste, dass das Salzwasser in meinen Augenwinkeln nicht nur Schweiß war, und ich wusste jetzt schon, dass ich mich irgendwann dafür schämen würde, aber im Moment war ich nur froh, dass der Mann in der Latzhose den Strick löste, dass ich aufstehen und meine Gürtelschnalle aufreißen „
    konnte.
    Die Ratten krochen sofort aus dem Hosenbund, um
    anschließend in Panik, weil der Hund jetzt aufsprang, zum höchsten Punkt zu klettern, den sie erreichen konnten, zu meinem Kopf.
    Mit einem Hieb hatte ich die Biester aus meinem Haar gefegt.
    Sie flitzten los. Ich sah noch, wie der Hund an der Kette zerrte.
    Dann langte ich hinunter zu meinem Stiefel. In der gebückten Haltung blickte ich zu meinen Peinigern.
    Sie standen unter dem Vordach, genau vor der blau gestrichenen massiven Finca-Tür. Latzhose hielt sich den Bauch vor Lachen, er hatte seinen Spaß gehabt, während der dünne Terry etwas enttäuscht dreinschaute, weil er mir sicher zu gern seinen Schlöres ins Gesicht gesteckt und den

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