Der Bienenfresser
aus Leinen.«
Steve legte Hand an. Zart, doch mit der Geschwindigkeit eines Varietekünstlers verwandelte er mich zunächst in einen indischen Bettelmönch auf Europareise und danach in einen Landadligen kurz vor dem Zubettgehen. Nein, danke!
Steve sprach von einem letzten Versuch, sonst müssten wir andere Konstellationen abwarten. In der Weltpolitik? Im Planetensystem?
Minuten später sah ich in dem Spiegel mit dem barocken Goldrahmen einen Kerl, der tatsächlich aussah wie ein Geschäftsmann, der schon alle Weltreligionen ausprobiert hatte und nun die Erleuchtung auf dem esoterischen Weg suchte. Meine Beine umschmeichelte eine gestreifte Hose aus feinster Baumwolle; das durchsichtige Hemd hatte an allen möglichen Stellen kleine Taschen, Laschen und Knöpfe. Ein weißes Sakko und eine Weste mit fernöstlicher Stickerei sowie eine Kette aus Holzperlen vervollständigten meine Ausstattung.
Steve verbot mir, auf den Preis zu schauen; eine aus seiner Sicht weise Entscheidung, denn an der Kasse traf mich der Schlag. Doch dann fiel mir ein, dass dieser Einkauf unter Spesen zu verbuchen war und damit zu Lasten meiner Exfrau ging, die mir früher Vorhaltungen gemacht hatte, dass ich mich zu uniform kleidete. Und das einem Polizisten! Und später dann einem privaten Ermittler! Mit dem gleichen Recht hätte man einem Schneehasen in der Tundra sein weißes Fell als zu eintönig vorhalten können. Stets hatte Verena kritisiert, dass mein Geschmack nicht nur in Kleidungsfragen, sondern auch was Musik und Essen betraf, wenig exklusiv war. Mainstream-Geschmack war ihr Wort gewesen.
Jetzt also exklusiv. Doch auf der Straße – die alten Brocken in einer Tüte, die neuen am Leib – drehte sich kein Mensch nach mir um. Wieder Mainstream? Na schön! Nun musste ich nur noch aufpassen, dass ich mit dem Flatterzeug nicht in die Speichen meiner Yamaha geriet.
Meine neue Ausstattung und das Gespräch mit Marie Laflör hatten ein Hochgefühl in mir entfacht. Mit röhrendem Auspuff, doch innerlich sozusagen schwebend, erreichte ich San Juan, den kleinen Ort im Norden von Ibiza. Außer der Kirche und dem gewohnten Dorfladen gab es eine Menge kleiner Geschäfte, die offensichtlich von Ausländern betrieben wurden. Heilpraktiker und Astrologen boten ihre Dienste an. In den Cafés saßen Leute, die mit Macht den Stress abbauten, indem sie Kuchen aßen oder ihr Gesicht in die Sonne hielten.
In den Schaufenstern lagen Bücher über Reiki und
Rückführungs-Therapien, Heilkristalle, Tinkturen für die Bachblüten-Behandlung und Kleidungsstücke aus zweiter Hand. Offensichtlich war ich nicht der Einzige, der die alte Schale abgelegt hatte.
Ich verließ den Ort in östlicher Richtung. Bewaldete Hügel, so weit das Auge reichte, eine Abzweigung, ein steiler Anstieg, dann war ich am Ziel.
Das Institut war in einem zweistöckigen, der ibizenkischen Bauweise nachempfundenen Neubau untergebracht, inmitten von Pinien, umgeben von einer Mauer. Die Mauer bestand aus gefügten Natursteinen, wie es auf der Insel üblich war, ungewöhnlich war nur ihre Höhe und die Mauerkrone aus Glasscherben. Ich betätigte die Sprechanlage neben dem Schild Instituto Ibosim sagte, wes mein Begehr, und mir ward aufgetan. Das heißt, es summte und ich konnte das schmiedeeiserne Tor aufdrücken.
29.
»Was genau suchen Sie, wenn ich noch einmal darauf zurückkommen darf?«
Felicitas Hagen-Anglassa war eine Frau mittleren Alters mit energischem Kinn und dunklem, zu einem Knoten gebundenen Haar, in dem eine weiße Oleanderblüte steckte. Weiß war im Institut die vorherrschende Farbe, von den Wänden des Innenhofs bis zu ihrem Gewand, unter dem eine naturfarbene, aus Hanf geflochtene Sandalette hervorschaute. Der unruhig wippende Fuß stand im krassen Gegensatz zu ihrer ansonsten zur Schau gestellten Gelassenheit.
»Ruhe, ich suche Ruhe.«
»Ruhe könnten Sie sonst wo auf der Insel finden.«
»Ganz recht, beispielsweise in einer Höhle der Insel Es Vedra, wie es dem ehrwürdigen Pater Francisco Palau gelang.
Ich aber suche die Ruhe in der Gemeinschaft mit anderen Menschen, die ebenfalls Ruhe suchen. Und Ernsthaftigkeit.
Wir sind doch umgeben von einer Gesellschaft, die nur auf Zerstreuung und Spaß aus ist.« Ich senkte meine Stimme:
»Was nun das Geld angeht«, mein Blick wurde so abgeklärt wie der eines Mannes, der über Jahre das Auf und Nieder der Börse beobachtet hat und ab sofort nur noch dem Wachsen eines Grashalms zuschauen will. »Oder ist Geld ein
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