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Der Bienenfresser

Der Bienenfresser

Titel: Der Bienenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklaus Schmid
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spießig, eben beides. Gäste, die früher bei den berühmten ›fiestas blancas‹ in den Diskotheken nicht in Weiß erschienen, wurden gnadenlos mit weißer Farbe besprüht. Auf den privaten Festen haben Normaltouristen noch heute keine Chance.«
    »Deshalb Ihr exotischer Aufzug?«
    »Ich? Ich gehöre zu den Partyschnorrern, eine aussterbende Gattung. Früher wimmelte es auf den Festen von Leuten wie mir, die sich durchfraßen, die für Spaß sorgten und selbst ihren Spaß hatten. Und wie, Mann! Hinter jeder Zimmertür wurde gebumst, gekifft oder eine Linie gezogen. Ibiza, Partyinsel, der Ruf ist geblieben, doch die Zeit der wilden Feste, auf denen Promis in feinem Zwirn gemeinsam mit den nackten Mädels in den Pool sprangen, ist längst vorbei. Schauen Sie sich das an.«
    Kapuste wies mit dem Daumen hinter seinen Rücken. »Heute steht am Beckenrand ein weißes Piano, an dem ein Schwarzer
    ›As time goes by‹ abklimpert.«
    Passt doch zu den Gästen, wollte ich sagen, als sich von meinem Magen her eine Hitzewelle ausbreitete, ich fasste an meinen Hals, schluckte.
    »Hey, Mann, alles klar?«
    »Hmm.«
    »Statt der Künstler, Träumer und Tagediebe«, nahm Kapuste den Gesprächsfaden wieder auf, »kommen zu den Partys, egal wie herausgeputzt sie sind, nur noch Häuslebauer und Geschäftsleute, die Kontakt zu anderen Geschäftsleuten suchen. Mit dem Geld, das sie anhäufen, hoffen sie dann die Frau ihres Lebens zu finden.«
    »Und Sie?«
    »Auch ich will die Frau meines Lebens, aber ohne Umwege.«
    »Donata? Was ist los mit ihr?«
    »Ich denke, Sie werden es rauskriegen.«
    Er gab mir das Blatt mit der Landschaft, das die Insel aus der Vogelperspektive zeigte, mit Wegen und Häusern, einem Verteidigungsturm und einer Mühle. Dazwischen allerlei Getier, Eidechsen, ein gefleckter Hund, ein zebragestreifter Wiedehopf und eine Art Ratte, die eine Gesichtsmaske trug, eigentlich drollig aussah, aber ungute Gefühle in mir weckte.
    »Ein Geschenk für Sie, zur Erinnerung, und hier«, Kapuste zeichnete ein Kreuz in die Zeichnung, »hier können Sie mich finden.«
    Ich rollte die Zeichnung zusammen. Als ich sie wie ein Fernrohr ans Auge hielt, wurde sie zu einem Kaleidoskop und die Umgebung und die Gäste wirbelten in bunten Scherben durcheinander. Ich sah die große, grell geschminkte Frau, deren Gesichtszüge wie eine Silvesterrakete zerplatzten.
    Gleichzeitig spürte ich erneut, und sogar noch etwas stärker als zuvor, vom Magen her eine Hitzewelle aufsteigen.
    »Verdammt gutes Zeug«, sagte Kapuste, als könnte er meine Gedanken lesen. »Die Plätzchen sind gespickt mit Schokolade aus Marokko.«
    Ich wollte wissen, wie lange die Wirkung andauern konnte.
    »Normalerweise ein paar Stunden. Aber ich habe auch schon Leute kennen gelernt, die von ihrem Trip nie mehr runtergekommen sind.«
    Schöne Aussichten.
    Ich fragte ihn nach der Frau im blauen Glitzerkleid, der er die erste Karikatur gegeben hatte.
    »Frau in Blau? Hier? Keine gesehen.«
    35.
    Was für eine Nacht!
    Tiefschlaf wechselte mit Wachsein. Farbiges Chaos, in dem ich die Welt als bizarres Krawattenmuster wahrnahm, löste Momente einzigartiger Klarheit ab. Ich sah den Schulweg meiner Kindheit vor mir, ging die Straße entlang bis zu der alten Kastanie, betrachtete den rissigen Baumstamm und konzentrierte mich schließlich auf eine Pore in der Rinde. Ich war überzeugt, dass es mir gelingen würde, jede Einzelheit meiner Kindheit zu rekonstruieren, und ahnte dabei, dass diese Fähigkeit nicht von Dauer sein würde. Schnell halluzinierte ich mir Marie Laflör an meine Seite, spürte ihre Lippen auf meinem Mund und wusste gleichzeitig doch, dass alles nur Einbildung war.
    Ich öffnete die Augen. Oder glaubte ich nur, sie zu öffnen?
    Die Matratze aus geblümten Polsterstoff, die Flaschen auf einer Anrichte, dieses Durcheinander von Farben, Papier und Leinwand – gehörte das noch zu meinem Drogentraum?
    Früher, als ich noch Arm in Arm mit Bruder Alkohol gelebt hatte, war es ja nichts Ungewöhnliches gewesen, morgens mit derlei Fragen aufzuwachen: Wo bin ich? Wer liegt dort neben mir? Und warum das alles überhaupt?
    Doch das war schon eine Zeit lang her. Dazwischen lagen ein paar nicht unwesentliche Ereignisse: der Schuss aus meiner Dienstwaffe, mein Abgang von der Polizei und die vielen Monate ohne einen Tropfen Alkohol.
    »Gut geschlafen?«, fragte Kapuste. »Kaffee? Oder lieber einen richtigen Schluck?«
    »Am besten nur Wasser.«
    »Ein Mensch, der heutzutage

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