Der Bienenfresser
Seite.
»Wenn wir diesen Weg weitergehen, kommen wir zu einer Straße, die asphaltiert ist und im Nirgendwo endet, die mit Bogenleuchten ausgestattet ist, die einzig den Sinn haben, dass streunende Hunde sie anpinkeln und dass Motten die letzten noch funktionierenden Lampen irritiert umflattern. Gebaut mit EU-Geldern. Die Schilder mit dem europäischen Sternenkranz und dem Text Projecto cofinanciado por la Union Europea kann man an vielen Stellen auf der Insel sehen.«
»Das gibt es anderswo auch.«
»Stimmt. Nur werden dann solche Beschlüsse meist am Schreibtisch gefasst. Geht es aber um Bewilligungen, die Ibiza betreffen, sind auf einmal viele Dienstreisen nötig. Geflogen wurde mit Flamingo-Charter, geschlafen in den Ferienhäusern der Firmen da hinten, beigeschlafen wurde da übrigens auch.
Heißt es sonst bei EU-Beschlüssen: prüfen, prüfen und noch einmal prüfen, so gilt bei Genehmigungen auf Ibiza: fliegen, fressen, vögeln!«
»Und die richtige Einstimmung beginnt schon während der Anreise?«
»Richtig. Das heißt, begann. Aus, vorbei. Seit dieser dummen Geschichte mit dem Beinaheunfall.« Er machte eine Pause, hob die Hand zum Schutz vor der Sonne an die Stirn und sagte:
»Ein Eleonorenfalke.«
Der Vogel flog elegante Manöver, stand eine Weile reglos in der Luft und stürzte sich dann auf einen anderen Vogel weit unter ihm. Federn schwebten in die Pinienkronen.
»Hier ziehen sie ihre Jungen auf, den Winter verbringen sie auf Madagaskar.«
»Madagaskar, schön! Worauf wollen Sie eigentlich hinaus?
Dass bei den Projekten Ihre Abgaben ans Finanzamt verschwendet werden, das kann es doch wohl nicht sein.«
»Stimmt, Steuern hab ich noch nie in meinem Leben bezahlt, werde ich auch nicht tun.« Er sah mich prüfend an. »Einem Typen, der nicht raucht und der nicht trinkt, sollte man eigentlich nicht trauen. Bei Ihnen mache ich eine Ausnahme.
Hören Sie zu.«
36.
Wir machten uns auf den Rückweg zum Wohnwagen. Kapuste erzählte, ich hörte zu. Mit jedem Zug vom Joint, dem zweiten bereits, wurden seine Gedankensprünge größer, doch ich konnte ihm folgen, denn richtig zugekifft war er nicht.
Er hatte Dora Klugmann, die er beharrlich Donata nannte, auf dem Hippiemarkt von San Carlos kennen gelernt, und zwar zu einem Zeitpunkt, als es ihm richtig dreckig ging. Probleme mit Drogen und Alkohol, Einbrecher hatten ihn
zusammengeschlagen und ausgeraubt.
»Ich schlief am Strand, schlich mich einmal die Woche mit einer Flasche Schauma in der Badehose in ein Hotel, um zu duschen. So war die Situation, als Donata für mich den Wohnwagen organisierte; das Gelände hier ringsum gehört einem Freund von ihr, den ich allerdings noch nie gesehen habe. Von Donata habe ich Farben, Zeichenstifte, Leinwand und all das Zeug bekommen, das ich zum Arbeiten brauchte, auch Geld für ‘n gebrauchten Wagen, damit ich beweglich bin.
Kannst es mir ja zurückgeben, wenn du was verkauft hast, hat sie gesagt. Feiner Zug von ihr, auf diese Weise sah es nicht wie geschenkt aus. Die Würde des Menschen ist unantastbar. So heißt es doch.«
Er machte einen tiefen Zug, sah dem Rauch nach und sprach weiter: »Ich hatte also wieder zu malen angefangen, hauptsächlich Porträts, die sich leicht verkaufen ließen. In die rechte Hosentasche kam das Geld für Bier und Schokolade aus Marokko, in die linke das Geld für Donata. So einmal oder zweimal im Monat haben wir uns gesehen.«
»Regelmäßig?«
»Was meinen Sie mit regelmäßig?«
»Ob an einem bestimmten Tag, an einem bestimmten Ort.«
»Immer wenn sie zwei, drei flugfreie Tage hintereinander hatte, meistens in Anitas Bar in San Carlos, manchmal auch hier beim Wohnwagen, einmal ist sie über Nacht geblieben.«
Es zuckte in seinem Gesicht, er blickte in die ziehenden Wolken und ich musste ihn wieder aufs Thema lenken.
Ich sagte: »Und dann kam es zu dem Zwischenfall, von dem im Zeitungsausschnitt nur andeutungsweise die Rede ist.«
»Ja, seit dieser Geschichte mit der Flamingo-Maschine haben wir uns nicht mehr gesehen. Einen Teil vom Geld, das ich ihr schulde, hab ich bereits zurückgezahlt, aber eben noch nicht alles. Gucken Sie mich nicht so an. Ich hab die Kohle nicht verbraten.«
Er streckte mir die geballte Faust entgegen. An seinem Mittelfinger glitzerte ein Einkaräter, der wohl seine zwölf- bis fünfzehntausend wert war. »Der ist für Donata. Bargeld hätte ich schnell versoffen. Ein Schwein, wenn ich meine Schulden nicht zurückzahlen würde.«
Als wir
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