Der Bilderwächter (German Edition)
fertiggeworden ist, und vielleicht …«
Seine Augen wurden schmal, als rechnete er sich aus, welches Verhalten ihm mehr Vorteile bringen würde.
Neben mir bebte Merle vor Wut. Sie kaute auf ihrer Unterlippe, damit ihr bloß keine Beleidigung oder Drohung entschlüpfte.
Wie vertraut sie mir ist, dachte ich und wünschte mir, dass das niemals aufhörte. Ich wollte auch in Zukunft immer wissen, welche Gedanken meiner Freundin gerade durch den Kopf gingen. Oder es zumindest ahnen.
Marten hatte eine Entscheidung getroffen.
» Okay«, sagte er. » Wir unterhalten uns draußen.«
*
Ruben, Liebster …
Hortense blickte auf. Sie hatte kein Licht gemacht, obwohl es im Zimmer schon dämmrig wurde. Wie schnell die Tage sich verbrauchten. Wie unbemerkt das Leben verrann.
Reglos saß sie da und starrte die beiden Worte an.
Ruben.
Liebster.
Zwei Worte. Zu mehr war sie nicht fähig.
» Ich habe es bisher nicht gewusst«, flüsterte sie, damit niemand außer Ruben es hörte. » Aber es gibt Dinge, die unaussprechlich sind.«
Ruben, Liebster, schrieb sie. Ruben, Liebster.
rubenliebster rubenliebster rubenliebster …
Sie füllte die ganze Seite. Hinter den letzten Buchstaben setzte sie einen Punkt.
Dann faltete sie das Blatt und steckte es in einen Briefumschlag.
Nachdem sie Ruben geschrieben hatte, ging es ihr besser.
*
Marten wollte sich möglichst unauffällig benehmen. Aber wie machte man das? Lässig tun? Kaltschnäuzig? Desinteressiert?
Sie zogen ihre Jacken von den Kleiderhaken und gingen hinaus.
Viele liefen hier draußen herum, um Luft zu schnappen. Auch das Café war nach wie vor gut besucht. Es herrschte ein ständiges Hin und Her.
Die meisten hatten ihre Wahl bereits im Vorfeld getroffen und passten lediglich die Momente ab, in denen die von ihnen ausgesuchten Kunstwerke an der Reihe waren. Den Rest der Zeit verbrachten sie in Gesprächen oder sie sahen sich auf dem Gelände um.
Unter einem mächtigen Baum blieb Marten stehen. Er legte den Kopf in den Nacken und blickte durch das schwarze Astgewirr in den Himmel. Sogleich kam ihm ein Bild Ruben Helmbachs in den Sinn.
Astgewitter.
Er liebte die Poesie der Titel, die Ruben für seine Werke gefunden hatte. In seiner Arbeit hatte er ihr ein ganzes Kapitel gewidmet.
» Ich bin Jette«, begann das Mädchen, das er von Anfang an für Jette gehalten hatte, » und das ist meine Freundin Merle.«
»Marten«, sagte Marten, obwohl sein Name seit Susans grandiosem Auftritt für keinen hier mehr ein Geheimnis war.
» Ilka ist seit fünfzehn Stunden verschwunden.« Jette lächelte tapfer, konnte ihre Besorgnis damit jedoch nicht kaschieren. » Seit wir uns kennen, sind wir alle jederzeit füreinander erreichbar. Es ist noch nie vorgekommen, dass einer den andern ohne Nachricht gelassen hätte. Ilka hat aber sogar ihr Handy zu Hause liegen lassen.«
» Vielleicht verstehst du jetzt, warum wir uns so große Sorgen machen«, sagte Merle, die ihm damit ein wenig sympathischer wurde.
» Ilka ist erwachsen.« Marten bemühte sich, unbefangen zu klingen. Er wollte Zuversicht ausstrahlen und die Gewissheit, dass Ilka sich um sich selbst kümmern konnte. » Jeder vergisst doch mal sein Handy und versackt irgendwo und kommt mit einem Kater nach Hause.«
» Ilka nicht«, behauptete Merle. » Und die einzigen Kater, die sie hat, heißen Smoky und Klecks.«
» Sie ist absolut zuverlässig«, meldete Jette sich wieder zu Wort. » Erst mal von ihrem Charakter her, und dann hat sie eine … schlimme Zeit hinter sich und …«
Marten nickte.
» Sie macht seitdem …« Jette warf ihrer Freundin einen fragenden Blick zu, und Merle gab mit einem Nicken ihr Einverständnis. » Sie macht seitdem eine Therapie. So etwas übersteht man nur mit Mut und ungeheurer Disziplin.«
» Deshalb«, sagte Merle, » ist es absolut untypisch für sie, einfach zu verschwinden. Das passt nicht zu ihr. Normalerweise kommt sie mit ihren Problemen zu uns. Oder zu ihrem Freund, aber diesmal …«
Ihrem Freund. Mike.
Beinahe hatte Marten sich von ihnen einlullen lassen. Dabei wollten sie nur eins – ihm Ilka nehmen.
Er verschloss sein Gesicht. Zeigte ihnen sein Pokerface.
Wenn Ilka ihn erst richtig kennenlernte, würde sie sich in ihn verlieben. Doch dazu brauchten sie Zeit.
Er sah auf seine Armbanduhr. Tat gelangweilt.
Und überlegte fieberhaft, wie er aus der Sache rauskommen konnte.
*
Ich werde dich auf Händen tragen, Liebste.
Ein Leben lang.
Ich werde dich unsterblich machen.
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