Der Bilderwächter (German Edition)
zuzulassen.
*
Marten brauchte gar nicht hinzusehen. Er wusste, dass die Mädchen sich nicht von der Stelle gerührt hatten. Und dass sie den Blick nicht von ihm ließen.
Jette und Merle.
Als Ilka sich heute Morgen alles von der Seele geredet hatte, waren diese beiden Namen oft gefallen.
Sie suchten nach ihr.
Wollten sie nach Hause holen.
Ihm wurde schlecht, wenn er sich vorstellte, Ilka wieder zu verlieren.
Allein ihre Gegenwart beflügelte ihn. Ihre bloße Anwesenheit machte ihm Lust zu malen. Eine Collage zu komponieren. Oder sich an einer neuen Skulptur zu versuchen. Warum nicht mal ein Projekt, in dem er Poetry mit Malerei verband?
Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie die Mädchen tuschelten.
Er musste hier raus.
Aber wie, ohne sie zu Ilka zu führen?
*
Wie lange war der Kommissar jetzt schon in Rubens Haus? Zu lange, fand Emilia, viel zu lange. Sie war kurz draußen gewesen, vorgeblich um sich die Füße ein wenig zu vertreten, und da hatte sie ihn durchs Fenster gesehen.
Er schnüffelte in Rubens Bildern herum.
Gehörte das zu seinen Aufgaben?
Was hatte Kunst mit dem Tod zu tun?
Solche Gedanken verwirrten sie.
Vieles verwirrte sie in letzter Zeit. Irgendetwas an der Welt, wie sie sie kannte, hatte sich verschoben, und nun verstand sie nicht mehr, was für alle anderen Menschen offensichtlich schien.
» Lass die Finger von Rubens Bildern«, murmelte sie hinter der Gardine ihres Zimmers.
Sie erschrak vor ihrem eigenen Zorn.
*
Vielleicht setzten wir ja auf das falsche Pferd und dieser Marten kannte Ilka wirklich nur flüchtig.
» Würde er dann so einen Haufen Knete für ein Bild von Ilka hinblättern?«, wandte Merle ein.
Vogelbeeren.
Der Auktionator benutzte ein Mikrofon, und seine Stimme füllte den Raum bis in den letzten Winkel. Seine Stimme war monoton, ohne Höhen und Tiefen.
Und ohne Begeisterung.
Das schadete der Versteigerung jedoch nicht. Die Kunstwerke fanden reißenden Absatz.
Ich stellte mir die Kinder vor, für die das hier veranstaltet wurde, versuchte mir ihren Herzenswunsch auszumalen.
Eine Fahrt mit dem Heißluftballon? Einmal mit dem Clown in der Zirkusmanege stehen? Mit Delfinen schwimmen?
Dass ihre Eltern mehr Zeit für sie hätten?
Meinen eigenen größten Wunsch konnte mir niemand erfüllen: Ilka zu finden.
Das mussten wir schon selbst besorgen.
*
Bodo Breitners Laptop befand sich noch bei den Kollegen der Spezialabteilung für Informationstechnologie. Bert hatte ihn sicherstellen lassen, nachdem er ihn in der Wohnung des Opfers kurz gestartet und einen Blick auf die Daten geworfen hatte.
Er würde die Kollegen nach dieser einen speziellen Liste fragen, doch er kannte das Ergebnis: Die Titel der Gouachen würden, in veränderter Nummerierung, korrekt und sauber aufgeführt sein.
Keinem würde auffallen, dass zwanzig Titel fehlten.
Bert lehnte sich zurück und verschränkte die Hände im Nacken. So fühlte sich Zufriedenheit an. Er reckte sich wie ein Kater in der Morgensonne und beschloss, jetzt endlich die verdiente Pause einzulegen, auch wenn Mittag längst vorbei war.
Gute Arbeit, dachte er. Und eine große Portion Glück.
Bodo Breitner hatte es versäumt, die handschriftliche Liste rechtzeitig zu vernichten.
Und Thorsten Uhland hatte sie gefunden.
Glück für mich, korrigierte Bert sich betroffen. Für Bodo Breitner ist es das Todesurteil gewesen. Jemanden wie Thorsten Uhland betrog man nicht. Man stahl ihm keinen Radiergummi und keine Briefmarke.
Erst recht nicht zwanzig wertvolle Gouachen.
*
Mit einem Schlag verloren die Farben ihre Leuchtkraft.
Die Hände gehorchten ihr nicht länger.
In ihrem Kopf schlugen sämtliche Türen zu.
Da war nichts mehr.
Nichts als Dunkelheit.
Ilka schleppte sich zum Fenster.
Kleiner Junge. Wo bist du?
Sie musste sich an etwas festhalten, das ihr vertraut war. Doch nichts in dieser Umgebung war ihr vertraut.
Kleiner Junge …
Sein Anblick hätte ihr jetzt Vertrauen eingeflößt. Ein wenig. Sie brauchte ihn. Dringend.
Wild sah sie sich im Zimmer um. Sie musste etwas finden, auf dem ihr Blick ruhen konnte. Etwas, das ihr zuflüsterte: Du hast mich schon einmal gesehen. Du kennst mich. Hab keine Angst.
Wo blieb Marten so lange? Oder war er noch gar nicht lange weg?
Sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren.
Ilka lief zu Martens Schreibtisch. Sie berührte die Bücher darauf, den Kugelschreiber, die Lampe. Prägte sich die Gegenstände ein.
Hielt sich daran fest.
Bücher. Kugelschreiber. Lampe.
Und
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