Der Bilderwächter (German Edition)
Freunde waren. Nein. Du kanntest meinen Ehrgeiz und meine Loyalität – und meine chronische Geldknappheit. Und da hast du dir gedacht, dass ich am besten dazu geeignet bin, den Widerstand deiner Schwester zu überwinden.«
Er pfefferte den Spachtel in die Ecke, gab der Staffelei einen Tritt, sah zu, wie sie mitsamt der Leinwand auf den Boden krachte. Sein Ausbruch unterschied sich nicht sehr von den legendären Wutanfällen Rubens, und als ihm das bewusst wurde, trat er noch einmal nach.
Zum Abreagieren zog er seine Sportsachen an und verließ die Fabrik, um eine Runde zu laufen.
Das kleine Café im Erdgeschoss hatte geöffnet, ein mit urigen, selbst gebauten Möbeln ausstaffierter Raum, in dem die Künstler sich mit Besuchern trafen, Gespräche führten, Verträge aushandelten. Immer häufiger kamen auch Touristen hierher, die einfach nur Flair schnuppern und Fotos schießen wollten.
Wassily, der Betreiber des Cafés, konnte sie schlecht rauswerfen, aber er behandelte sie so mies, dass sie nach einem Kaffee freiwillig wieder gingen.
Das hier war keine Touristenattraktion, und sie wollten sich nicht fühlen wie Tiere im Zoo, angegafft von Kaugummi kauenden Familien mit Fotoapparaten um den Hals.
Thorsten lief über die Felder. Die Kälte schmerzte ihn in den Lungen. Er achtete darauf, den Mund beim Einatmen geschlossen zu halten. Doch bald fühlten seine Nasenlöcher sich an, als seien sie vereist, und so schob er sich den Schal über die Nase, locker, damit er seine Atmung nicht zu sehr behinderte.
Die Gedanken kehrten zu einem Anruf zurück, den er heute Morgen erhalten hatte. Philipp Van Damme, einer der bekanntesten Galeristen Deutschlands, dessen Leute wie Bluthunde jede Begabung aufspürten, der große, unnahbare Philipp Van Damme, der Thorstens eigene Arbeiten vor Jahren kommentarlos hatte zurückschicken lassen, genau dieser sagenumwobene Philipp Van Damme hatte Wind von Rubens Nachlass bekommen und Thorsten das Geschäft des Jahrhunderts angeboten.
» Phi-lipp-Van-Damme«, keuchte Thorsten zornig im Rhythmus seiner Schritte. » Phi-lipp-Van-Damme …«
Jetzt konnte er mit all denen abrechnen, die den Wert seiner Kunst nicht erkannt und ihn verächtlich behandelt hatten. Jetzt hatte er die Möglichkeit, zurückzuschlagen. Ihnen den erträumten Deal zu verweigern – oder den Preis über die Schmerzgrenze hinaus hochzutreiben.
Diese Vorstellung beflügelte ihn.
Selten war er bei solcher Kälte so leichtfüßig gelaufen.
Er sollte keinen Groll mehr gegen Ruben hegen. Er hatte allen Grund, ihm die Füße zu küssen.
Und Ilka zu überzeugen, seinen Plänen zuzustimmen.
Ihm war jedoch absolut nicht klar, wie er das bewerkstelligen sollte.
*
» Warum rufst du sie nicht an?«, fragte ich, als ich den Anblick seines gequälten Gesichts nicht länger ertragen konnte. Die erste Vorlesung heute fiel aus, und ich nutzte die Zeit, um mit Mike in Ruhe in der Küche zu sitzen und zu reden.
Er schüttelte den Kopf. Seine Finger spielten mit dem Henkel seiner leeren Kaffeetasse.
» Mike … Sei doch nicht so stur. Ilka braucht dich mehr denn je.«
» Dann soll sie mir das sagen.«
» Du weißt, dass sie das nicht kann.«
Er nickte. Seine Finger kippten die Tasse um und richteten sie wieder auf.
» Also …«
» Also was?«
Er zeigte keine Regung, wirkte wie betäubt.
» Also reich ihr die Hand.«
» Du klingst wie mein alter Religionslehrer. Der hatte es auch immer mit Hand reichen und andere Wange hinhalten und so.«
» Mike. Lenk nicht ab.«
Er ließ die Tasse los, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Legte den Kopf schief und sah mich aus halb geschlossenen Augen an.
» Mike?«
Ich schob ihm sein Handy hin, das zwischen uns auf dem Tisch gelegen hatte. Neben meinem. Wir waren schon so abhängig von den Dingern, dass wir sie ständig mit uns herumschleppten.
» Komm schon. Ich fahre erst zur Uni, wenn du mit Ilka telefoniert hast.«
» Sie will nicht mit mir sprechen.«
» Das glaubst du doch selbst nicht.«
» Sie hat’s mir gesagt.«
» Aber sie meint es nicht so.«
» Und wenn doch?«
» Sei nicht albern, Mike. Du und Ilka, ihr seid füreinander geschaffen. Ihr seid wie … Sonne und Mond.«
» Dir ist schon klar, dass Sonne und Mond sich ganz selten begegnen?«
» Das ist Haarspalterei.«
» Okay.« Seine Finger spielten jetzt mit seinem Handy, drehten es wie einen Kreisel immer schneller um sich selbst. Wie gebannt starrte Mike es an.
Ich hätte es
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