Der Bilderwächter (German Edition)
sich in der Küche ausgebreitet hatte, senkte sich auf ihre Schultern. Fast hätte sie einen Rückzieher gemacht. Rasch nahm sie ihr Handy, um Thorstens Nummer zu wählen.
Er hatte ihr zahllose SMS geschickt, mehrmals auf ihre Mailbox gesprochen und um Rückruf gebeten.
Was, wenn sie ihn mit ihrem Schweigen so sehr verärgert hatte, dass er zu keinem Kompromiss mehr bereit war?
Er meldete sich sofort mit einem kurzen, schroffen »Ja«.
» Ich bin’s, Ilka. Können wir uns sehen?«
» Wann?«
» Sofort.«
» Ich bin in Rubens Haus.«
In Rubens Haus. Verstand er nicht, was diese Worte in ihr auslösten? Sie atmete gegen die aufkeimende Panik an.
» In einer halben Stunde bin ich da.«
Ilka steckte ihr Handy ein und nahm die Schlüssel, die Jette ihr reichte. Sie setzte ihre Mütze auf.
» Ich versuche es durch die Scheune«, sagte sie, was ein guter Plan war, denn die Scheune lag im Dunkeln. Sie wurde vom Licht der Straßenlaternen nicht erreicht.
» Sollen wir nicht doch …«, begann Merle.
Ilka schüttelte energisch den Kopf. Es gab Dinge, die man allein bewerkstelligen musste. Bei diesem Gespräch konnte ihr niemand helfen, auch Onkel Knut nicht, an den sie kurz gedacht hatte. Sie wollte Thorsten nicht mit Argumenten in die Enge treiben und nicht versuchen, ihn einzuschüchtern. Sie wollte an das Gute in ihm appellieren, das doch irgendwo versteckt sein musste.
» Ihr könntet aber die da draußen ablenken, damit ich unbehelligt zum Wagen komme.«
» Nichts lieber als das.« Merle warf ihr eine Kusshand zu. » Und jetzt hau ab.«
Entschlossen ging Ilka durchs Haus und durch die Scheune und überquerte im Schutz der Dunkelheit das Stück Wiese, das sich zwischen Scheune und Straße erstreckte. Die Autos, die die Zufahrt versperrten, waren leer. Ein prüfender Blick zeigte Ilka, dass sämtliche Reporter sich an der Haustür versammelt hatten. Blitzlichter zuckten, als hätten Brad Pitt und Angelina Jolie beschlossen, ohne Bodyguard und Sonnenbrille das Haus zu verlassen.
Brave Merle, dachte Ilka und grinste.
Wie ein Schatten huschte sie davon, öffnete leise die Tür von Jettes Peugeot, startete und fuhr los. Niemand schien es zu bemerken. Dennoch wurde Ilka erst ruhiger, als auch am Ende der Straße noch kein Verfolger im Rückspiegel aufgetaucht war.
*
Auf der Fahrt zu seiner Wohnung hatte Bert eingekauft, und weil er wieder einmal keine Taschen im Wagen gehabt hatte, schleppte er nun vier prallvolle Plastiktüten ins Haus. Seine Arbeit erforderte logisches Denkvermögen und eine ausgeprägte Kombinationsfähigkeit, doch er war offenbar nicht in der Lage, seine Einkäufe so zu planen, dass der Kühlschrank immer gleichmäßig gefüllt war. Die Tragegriffe schnitten ihm ins Fleisch und zwischen seinen Schulterblättern brannte Feuer.
Die Wohnung empfing ihn mit vorwurfsvollem Schweigen. Er vernachlässigte sie und wurde darum – Auge um Auge – auch von ihr ignoriert. Mit einem Ächzen wuchtete Bert die Tüten auf den Küchentisch, zog den Mantel aus und begann, die Lebensmittel auszupacken.
Er machte sich gerade eine Dose Ravioli warm, als es klingelte. Verwundert drückte er auf den Türsummer und kehrte an den Herd zurück, damit sein Essen nicht anbrannte.
» Das nennst du kochen?«, fragte Rick, der einen Schwall kalter Luft mitbrachte.
Bert drehte sich zu ihm um. » Isst du mit?«
Rick warf seine Jacke über einen Stuhl. » Ich liebe Ravioli.«
Bert öffnete eine zweite Dose. » Ich wärme sie nicht einfach auf«, erklärte er. » Ich verfeinere sie.« Er zog ein Stück Gouda aus dem Kühlschrank und fing an, den Käse über die Ravioli zu raspeln. Dann schüttete er reichlich Oliven und ein kleines Glas Kapern in den Topf. Zum Schluss würzte er das Ganze mit getrockneten Kräutern und einem Löffel Preiselbeeren. » Du wirst sehen – das schmeckt sensationell.«
Rick sah ihn mitleidig an. Er deckte den Tisch, trieb sogar in irgendeiner Schublade ostergrüne Servietten auf. Bert fühlte sich für einen wunderbaren Moment wieder als Teil einer Familie.
Sie setzten sich an den Esstisch im Wohnzimmer, der so gut wie nie Gäste zu Gesicht bekam, und fast bildete Bert sich ein, das Lachen seiner Kinder im Hintergrund zu hören.
» Ich denke die ganze Zeit über die Angst nach, von der Bodo Breitner in den letzten Tagen seines Lebens verfolgt wurde«, sagte Rick. » Dein Essen ist übrigens tatsächlich ganz ausgezeichnet. Sofern es einem gelingt zu vergessen, was du alles in den
Weitere Kostenlose Bücher