Der Bilderwächter (German Edition)
Er hatte seine nervöse Wanderung wieder aufgenommen, und auf einmal wusste Bert, weshalb.
Dieser Mann hatte Angst.
Ebenso große Angst, wie Bodo Breitner sie gehabt hatte?
Bert spürte ein Kribbeln in seinem Innern, ein sicheres Anzeichen dafür, dass er auf etwas Wesentliches gestoßen war. Er warf einen letzten Blick auf das Bild. Hinter einem der Bäume lugte ein Gesicht hervor. Maskenhaft weiß. Ausdruckslos.
Böse.
Das Paar im Vordergrund schien es nicht zu bemerken.
Die Nachmittagsvorlesung war ausgefallen, und so hatte ich mich noch mit Luke getroffen, der ebenfalls zwei Stunden Leerlauf hatte. Wir waren ins Museum Ludwig gegangen, um uns die Ruben-Helmbach-Sammlung anzuschauen. Ich konnte nicht sagen, was mich daran so anzog, ich musste sie einfach sehen.
Wir waren durch die beiden Ausstellungsräume geschlendert, die offenbar ein Magnet für Besucher waren. Menschentrauben versperrten die Sicht auf die Bilder. Wir brauchten jede Menge Geduld.
Ruben hatte einen ganz eigenen Stil gehabt. Man konnte ihn mit keinem anderen Maler vergleichen. Das Erste, was auffiel, waren seine Modernität und seine Vielseitigkeit. Auf den zweiten Blick sah man, dass all seine Werke die Liebe zum Thema hatten, selbst diejenigen, die keine Menschen zeigten.
Man erkannte es daran, auf welche Art und Weise die hohen Bäume in einem Park nebeneinanderstanden. Wie Mauern Gärten teilten oder wie eine brüchige Stelle im Mauerwerk diese Trennung aufhob.
Da waren Pflanzen, die diesseits und jenseits eines Zauns wuchsen und sich doch aufeinander zu bewegten. Düstere Fabrikschornsteine erhoben sich vor einer sanften Hügellandschaft. Lange, kantige Holzstege führten auf rund geschwungene Seen hinaus.
Wieso war mir nie aufgefallen, wie intensiv Ruben mit Symbolen für die weibliche und die männliche Sexualität gearbeitet hatte?
» Nicht intensiv«, sagte Luke. » Das ist schon eher Besessenheit.«
Er wurde bald müde und zog sich auf eine der Sitzgelegenheiten zurück.
Und das war gut so.
Ich erlebte den Schrecken in Rubens Villa ein zweites Mal, sah mich mit der schwachen, ausgezehrten Ilka im Schrank ausharren, dem einzigen uns halbwegs sicher erscheinenden Ort, den wir auf der Flucht vor dem tobenden Ruben gefunden hatten.
Natürlich war er alles andere als sicher gewesen und hatte sich schließlich als tödliche Falle entpuppt.
Und nun stand ich vor Rubens Bildern. Erkannte Ilkas Augen in den Augen der Mädchen und Frauen. Ihre Körperhaltung. Ihren Mund. Immer nur Teile von ihr. Ein perfides Puzzlespiel, mit dem Ruben sich über die ganze Welt lustig gemacht hatte.
Ich hielt es nicht mehr aus.
Wir tranken etwas im Museumsrestaurant und nutzten die Zeit, um zu reden. Dann brach Luke auf. Ich blieb noch eine Weile und sah den Leuten zu, die die Ausstellung diskutierten oder sich in das Studium des Katalogs versenkten.
Nach ein paar Telefongesprächen machte ich mich schließlich ebenfalls auf den Weg.
Ich hatte mich mit Merle abgestimmt, die früher Schluss machen wollte, und mit Ilka, die erst am Montag nach Düsseldorf zurückkehren würde. Auch Mike hatte versprochen, rechtzeitig zu Hause zu sein. Wir hatten schon so lange nichts mehr gemeinsam unternommen.
Als ich voller Vorfreude Birkenweiler erreichte, bemerkte ich die vielen Autos. Sie standen überall und kreuz und quer, sodass ich nicht in unsere Scheune kam, in der wir normalerweise parkten. Ich fuhr ein paar Meter weiter und stellte meinen Wagen vorm Nachbarhof ab.
Bevor ich ausstieg, überlegte ich, wie ich ins Haus gelangen konnte, ohne die Meute auf mich aufmerksam zu machen. Da die kalte Nässe einem durch Mark und Bein ging, harrten die Presseleute in ihren Fahrzeugen aus, und genau das war meine Chance.
Ich hechtete in unseren Vorgarten, spurtete zum Eingang, ohne nach rechts und links zu blicken, und war noch nicht an der Tür angelangt, als sie aufflog.
» Schnell!« Merle ließ mich ins Haus. Bevor sie die Tür wieder schloss, warf sie einen wütenden Blick auf die Journalisten, die sich jetzt in unserem Vorgarten drängten. Sie hatten ihre Kameras gezückt und schossen wild drauflos. » Verpisst euch!«, rief Merle und knallte die Tür zu.
» Hier ist der Teufel los«, erklärte Mike. » Und zwar schon den ganzen Tag.«
» Eigentlich«, beklagte sich Merle, » wollte ich vorschlagen, dass wir was beim Chinesen bestellen. Das können wir nun ja wohl getrost vergessen.«
Ich betrachtete Ilkas Gesicht, das weiß war wie das einer
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