Der Bilderwächter (German Edition)
an den Tisch. Selbst hier türmten sich Zeichnungen.
Thorsten schob sie beiseite, stellte eine Flasche Wasser und zwei Gläser auf die freie Fläche, ließ sich auf einen Stuhl fallen und schaute Ilka mit ausdrucksloser Miene an.
» Du wolltest mich sprechen«, sagte Ilka.
Sie spürte, dass tausend Sätze besser gewesen wären als dieser, doch keiner davon war ihr in den Sinn gekommen.
» Ich bin gerade dabei, das hier für eine Fernsehsendung vorzubereiten«, erklärte Thorsten und zeigte vage auf das Chaos im Raum. » Ein Special über Ruben. Und es gibt noch viel mehr Anfragen. Ilka …« Er beugte sich zu ihr vor und seine Stimme nahm einen verschwörerischen Tonfall an. » … das wird ganz großes Kino. Und wir beide, du und ich, führen Regie.«
Wohl eher du, dachte Ilka.
Sie betrachtete den Mann, der einmal Rubens Freund gewesen war, genauer. Was hatte die beiden zusammengeführt? Wie hatte Rubens Ruhm auf seinen erfolglosen Freund gewirkt?
Und wo bist du gewesen, als Ruben meine Entführung geplant und vorbereitet hat? Wo warst du, als er mich schließlich in seiner Gewalt hatte?
» Das kann dich doch nicht gleichgültig lassen«, sagte er.
Ilka hatte Ruben immer als einsamen Menschen gesehen. Als einen, der die Einsamkeit brauchte und sie jeder Gesellschaft vorzog. Nur in dieser Einsamkeit war ihre Liebe möglich gewesen.
Und das, was du mir – angeblich aus Liebe – angetan hast, Ruben.
» … deshalb brauche ich deine Zustimmung. Und ganz konkret einige Unterschriften.«
Sie hatte nicht zugehört. Was waren das für Papiere, die Thorsten ihr da vorlegte? Wozu benötigte er ihr Einverständnis?
» Entschuldige«, sagte sie. » Kannst du mir das bitte noch mal erklären?«
» Wo bist du mit deinen Gedanken?«, fragte er und lächelte. Sein Lächeln war gezwungen. Insgeheim wünschte er sie zum Teufel. Ilka erkannte das so deutlich, als stünde es auf seiner Stirn geschrieben.
» Ich … ertrage den Anblick der Bilder nicht«, vertraute sie ihm an.
» Dann guck nicht hin.«
Die plötzliche Kälte in seinem Verhalten war die erste aufrichtige Regung, die Ilka bei ihm erkennen konnte. Sie fragte sich, ob Ruben gewusst hatte, wie es zwischen seinem Nachlassverwalter und seiner Schwester laufen würde, und was er sich dabei gedacht hatte, sie aufeinander loszulassen. Hatte er beabsichtigt, dass sich beide gegenseitig kontrollierten?
War ihm seine Kunst so wichtig gewesen?
Sogar über den Tod hinaus?
Ihr Blick wanderte über die Bilder, die wie Spiegel waren. Sie erkannte sich selbst. Erkannte Ruben. Und plötzlich begriff sie, was Ruben mit dieser Nachlassregelung gewollt hatte:
Es waren nicht die Bilder.
Es war seine Liebe, die unsterblich werden sollte.
*
Sie wurde kreidebleich.
Das passte nicht zu dem Ablauf des Gesprächs, wie Thorsten Uhland ihn sich wünschte. Nachdem Ilka um dieses Treffen gebeten hatte, war er davon ausgegangen, dass er leichtes Spiel haben würde.
Die Presse einzuschalten, war ein geschickter Winkelzug gewesen, nicht ganz sauber, aber effektiv. So war das Leben. Mal segelte man wie auf Wolken durch den Tag und mal watete man durch kniehohe Scheiße.
Willkommen in der Realität, Mädchen. Und jetzt steig mal runter von deinem hohen Ross.
» Hör zu«, sagte er. » Ich hab so viel Arbeit investiert, so viel Zeit, Kraft und Schweiß. Du kannst dich jetzt nicht einfach querstellen und das zunichte machen.«
» Das will ich doch gar nicht.« Er hatte den Eindruck, dass ihr jedes Wort schwerfiel. » Ich bin nur noch nicht so weit.«
» Das hatten wir doch schon. Leg mal eine neue Platte auf.«
Es war nicht klug, sie zu reizen, aber er hatte keine Lust mehr, den Mädchen-Flüsterer zu spielen. Er würde die Sache jetzt durchziehen. Lange genug hatte er sie mit Samthandschuhen angefasst.
» Ich möchte dir einen Vorschlag machen«, sagte sie.
» Da bin ich aber mal gespannt.«
» Wir …« Sie knetete ihre Finger. Man konnte ihr ansehen, welche Anstrengung es sie kostete, nicht aufzuspringen und hinauszulaufen. » Wir könnten uns doch einigen.«
» Einigen?«
» Du könntest … die Öffentlichkeit raushalten und die Bilder über seriöse Galeristen anbieten.«
» Die Öffentlichkeit raushalten?« Er lachte. » Wenn du was erreichen willst, musst du die Werbetrommel rühren.«
» Rubens Bilder werden dir auch so ein Vermögen einbringen. Sie haben keine Werbung nötig.«
» Uns«, korrigierte er sie brüsk. » Sie werden uns ein Vermögen
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