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Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition)

Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition)

Titel: Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Spurrier
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kurz damit, das Richtige zu tun: das Haus mit Polizisten und Sanitätern zu fluten und auf die Chance zu verzichten, zuerst selbst einen Blick auf die Leiche zu werfen. Allerdings würde besagte Leiche – sie ist gar nicht da, sie ist gar nicht da  – nicht noch toter werden; die Polizei konnte also warten. Außerdem fesselte ohnehin die blattgrüne Anzeige des Anrufbeantworters seine Aufmerksamkeit und ließ alle anderen Gedanken verpuffen. »Keine neuen Nachrichten.«
    Shapers Nackenhaare richteten sich auf.
    Mit finsterem Blick, als wäre er persönlich angegriffen worden, betrachtete er die Taste »Alles löschen« und suchte mit zusammengekniffenen Augen nach einem Fingerabdruck, einer Erklärung, einem Fehler …
    Nichts.
    Geschlagene fünf Minuten stand er da und konzentrierte sich darauf, zu atmen. Er ließ alles auf sich einwirken und versuchte gleichzeitig, überhaupt nichts zu denken.
    Und letztlich ließ er sich, nunmehr gewappnet, von den eigenen Füßen wie ein gleichgültiges, bewusst gedankenfreies Phantom über den Boden tragen und drückte die Schlafzimmertür mit dem Jackenärmel weiter auf.
    Und stand da.
    Und starrte hin.
    In jenen ersten Augenblicken der Abscheu, in denen er an Ort und Stelle wankte und beinah verräterische Fingerabdrücke an der Wand hinterlassen hätte, drängte es sich auf, wilde Raserei aus dem Anblick vor ihm herauszulesen. Während jenes ersten Adrenalinschubs, während die Krankheit hämisch kicherte und sich gegen den Käfig seines Schädels warf, sprach jedes Detail von bestialischer Barbarei: der formlose, aus der Brust gerissene Streifen Fleisch, der wie ein Ballon ohne Luft quer über den Unterleib hing; die an drei Stellen gebrochenen, freiliegenden Rippen mit den dazwischenliegenden Knorpeln. Der schauerliche Gesichtsausdruck des Mannes fühlte sich irgendwie noch schlimmer an – befleckt mit Blut, die Lippen zurückgezogen wie die eines wiehernden Pferdes, die Augen in unbeschreiblichem Schmerz verzogen. Das stumme Starren bohrte sich tief in Shapers Rationalität. Wie auf ein Stichwort wurde der Anblick mit all der übelkeiterregenden Kunstfertigkeit seiner Fantasie lebendig, zischend und knisternd vor Feuer, überbordend vor Angst. Die Leiche wurde ein halluzinogenes Schreckgespenst, bemäkelt von derselben Gewalt, die sie umgebracht hatte, und Shaper wagte nicht einmal, ihr den Rücken zuzukehren, weil er fürchtete, sie könnte ihn anspringen, wenn er nicht hinsah. So stand er nur da und starrte mit wackeligen Knien wie benommen hin.
    Und erkannte langsam, entsetzt die tiefere Wahrheit.
    Seine Bestürzung legte sich zu einer morbiden Ruhe, und das Grauen wich einer dunkleren, unscheinbareren Wahrnehmungsverzerrung. Seine Sinne füllten scharfkantige Schatten mit Bewegungen, die nicht da waren, und ihm dämmerte die Erkenntnis, dass für jedes Detail, das auf Brutalität und Raserei hinwies, ein zweiter Blick ein wesentlich überlegteres Vorgehen verriet.
    Der runzlige Fleischlappen aus der Brust, auf dessen Haut sich die borstige Behaarung des Arztes abzeichnete, war nicht mit roher Gewalt herausgerissen worden, wie Shaper zuerst geglaubt hatte – er wies an drei Rändern saubere Schnitte auf und warabgeschält worden wie die weiße Haut über dem Fruchtfleisch einer Orange. Dasselbe galt für die Rippen. Sie waren nicht wie von einem Berserker zerschmettert, sondern an strategischen Punkten wie Winterzweige gebrochen worden, um einen Zugang in den Brustraum zu schaffen. Die breiige Masse dunklen Blutes darin konnte nicht vollständig den Kontrast der freigelegten Lunge verschleiern, die selbst beiseitegeschoben worden war, um …
    An dieser Stelle stürmte letztlich die Erkenntnis dessen, was er tatsächlich vor sich sah, mit dem Schrillen tausender Heuschrecken und einem sauren Geschmack auf der Zunge in Shapers Geist, und er wurde erbarmungslos über den Rand der Rationalität gestoßen.
    Er suchte das Weite, solange er noch dazu in der Lage war, stolperte die Treppe hinunter, bevor sich seine Sinne vollständig überschlagen konnten – bevor sich die Verwesung auf seiner Haut abzuzeichnen begann und die Würmer seiner Vergangenheit daraus hervorkrochen. Auf dem Weg nach draußen dachte er sogar daran, die Eingangstür mit dem Jackenärmel in ihre fast geschlossene Position zurückzumanövrieren. Danach kauerte er sich auf den Fahrersitz seines Vans, bis sein Magen aufhörte, Gift hochzupumpen, und sich das Schrillen zu einem elektrischen

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