Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition)
Erstaunen – »Ist das ein Kaninchen? Scheiße!« – keine Beachtung. Er selbst hatte für einen Tag schon genug Überraschungen erlebt; ein paar schlappohrige Grasratten würden seinen Puls sicher nicht beschleunigen.
Es hatte eine Stunde gedauert, hierher zu gelangen. Sie hatten von Vinces überraschend ordentlicher kleiner Wohnung die nördliche Außenringautobahn genommen und waren von ihr in die bewaldeten Weiten der Grafschaften um London abgefahren. Wenn er West-London schon als fremdartiges Gebiet empfand, stellten die Grafschaften allgemein einen neuen Kosmos unddiese vor Fasanen strotzenden, seit Jahrhunderten landschaftsgärtnerisch gestalteten feudalen Grundstücke eine völlig neue Dimension dar. Halb rechnete Shaper damit, dass sich die Gesetze der Physik auf dem Weg über die Zufahrt ändern würden.
Nach einigen hundert Metern beschrieb der Weg einen scharfen Knick, verlief über eine Brücke, die zu malerisch anmutete, um wahr zu sein, und führte schließlich durch eine Einfassung aus Pampagras und krummen Weiden zum Haus.
Es war überwältigend.
»Dein … Klient«, murmelte Vince ein wenig erstickt. »Er … er ist wohl ziemlich gut betucht, oder?«
»Ja.«
»Also … diese zwei Riesen, die ich kriege. Für Sicherheitsvorkehrungen und all das. Um Herzen klauende Irre fernzuhalten.«
»Ja?«
»Wie viel wird dir bezahlt? Nur so aus Interesse.«
Shaper ignorierte ihn, wünschte, er hätte dem Primitivling nie von den unschönen Begebenheiten der vergangenen Nacht erzählt, und kam auf knirschendem Schotter zum Stehen. Wie gebannt starrte er nach oben.
Das Gebäude besaß so viele Fenster wie ein Stachelschwein Stacheln. Es unternahm keinen Versuch, symmetrisch oder anmutig zu wirken, sondern verließ sich stattdessen auf die umfassende Wucht seiner Größe, um Eindruck zu erzielen. Aber inmitten der von mächtigen Efeuranken überwucherten Mischung aus Schiefergrau und rötlichen Brauntönen ließen die unebenmäßigen Dachvorsprünge und rahmengezimmerten Türme eine unerwartete Behaglichkeit erahnen, wie ein betagter Kampfhund, der sowohl der beste Freund als auch der letzte Anblick eines Mannes sein konnte. Das Haus vermittelte den überaus seltsamen Eindruck, dass es ein bezauberndes, sicheres Heim bieten konnte – solange die Bewohner ihm zusagten.
Brrr .
Die beiden stiegen aus dem Van, starrten die gewaltige Tür anund kamen sich dämlich vor. Keine Glocke, kein Klopfer. Ein imposanter, in schwarzes Eisen gefasster Schiefersturz über der Tür trug die Aufschrift:
THORNHILL
(ST. GERMAIN)
Als sich Shaper gerade mit der beängstigenden Möglichkeit abfand, dass er würde klopfen müssen, nahm er am äußersten Rand seines Hörvermögens ein Geräusch wahr, ein vielversprechend menschlich klingendes Geplapper.
»Hintenrum«, brummte Vince, das menschliche Peilgerät.
Zögerlich knirschte Shaper über den Schotter. Er wollte nicht wie ein Eindringling wirken, zugleich war ihm jedoch bewusst, dass die fernen Geräusche – eingedenk der jüngsten Todesdrohungen gegen den Besitzer des Anwesens – durchaus von einem Eindringling stammen konnten. Langsam schleichend umging er den linken Flügel des Gebäudes. Vince blieb enttäuschende vier Schritte hinter ihm zurück. Unterwegs wich Shaper regenschweren Blumen zwischen nassem Laub aus. Mehrmals hielt er inne, um durch schmutzige Fenster zu spähen, und erhaschte dabei flüchtige Blicke auf leere Kammern und verstaubte Zimmer. Die Stimme wurde lauter und schriller. Beruhigenderweise ließen die Geräusche keineswegs auf einen verstohlenen Eindringling schließen, und als Shaper um die letzte Ecke bog, entpuppten sie sich als die knappen, gefühlsarmen Töne der Walküre.
»Tova?«, sagte er.
Sie saß auf einer niedrigen Gartenmauer und nickte ihm zu, als wäre der Anblick eines unter Schlafentzug leidenden Mannes, der aus einem Rhododendron hervorkommt, nichts Neues. Sie brachte das Telefongespräch, das sie gehört hatten, zu einem Ende.
»Richtig«, sagte sie, »sobald wie möglich, ja? Nein, ist gut, nicht nötig, hereinzukommen. Ich warte am Haupttor an derStraße. Zehn Minuten? Gut.« Damit klappte sie das Telefon zu und setzte ein kühles Lächeln auf. »Taxi«, erklärte Tova. Sie warf einen fragenden Blick auf Vince, als dieser aus dem Gebüsch hervorstapfte. »Sie wissen, dass auf der anderen Seite ein Weg ist?«
»Ja, sicher.« Shaper wischte sich ab. »Wir haben nur … ein wenig Aufklärung betrieben,
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