Der blaue Express
Ich habe mit dem Fall nichts mehr zu tun.»
«Ah, Mademoiselle, Mademoiselle, können wir je sagen: ‹Ich habe mit diesem oder jenem nichts mehr zu tun›?»
Trotzig wandte Katherine sich um und sah ihn an.
«Worum geht es?», fragte sie. «Sie wollen mir doch etwas sagen – oder eher andeuten. Ich bin aber nicht sehr gut darin, verschlüsselte Anspielungen zu deuten. Mir wäre lieber, Sie würden das, was Sie zu sagen haben, geradeheraus sagen.»
Poirot sah sie bekümmert an. «Ah, mais c’est anglais ca», murmelte er, «alles schwarz oder weiß, alles klar umrissen und sauber definiert. Aber so ist das Leben nicht, Mademoiselle. Es gibt Dinge, die noch nicht da sind, aber ihre Schatten vorauswerfen.»
Er tupfte sich die Stirn mit einem riesigen seidenen Taschentuch und murmelte:
«Aber ich glaube fast, ich werde poetisch. Lassen Sie uns, wie Sie sagen, nur von Tatsachen sprechen. Und, à propos Tatsachen, sagen Sie mir, was Sie von Major Knighton halten.»
«Er gefällt mir sehr gut», sagte Katherine warm, «er ist ganz reizend.»
Poirot seufzte.
«Was haben Sie?», fragte Katherine.
«Ihre Antwort klang so herzlich», sagte Poirot. «Wenn Sie ganz gleichmütig geantwortet hätten, ‹Ach, ganz nett›, eh bien, wissen Sie, das hätte mir besser gefallen.»
Katherine antwortete nicht. Sie fühlte sich ein wenig unbehaglich. Poirot fuhr verträumt fort:
«Und doch, wer weiß. Les femmes, ah, sie haben so viele Methoden, ihre Gefühle zu verbergen – Herzlichkeit ist vielleicht so gut wie jede andere.»
Er seufzte.
«Ich verstehe nicht…», begann Katherine.
Er unterbrach sie.
«Sie verstehen nicht, warum ich so zudringlich bin, Mademoiselle? Ich bin ein alter Mann, und hie und da – nicht sehr oft – begegnet mir jemand, dessen Wohlergehen mir am Herzen liegt. Wir sind Freunde, Sie haben es selbst gesagt. Und – ich möchte Sie einfach gern glücklich sehen.»
Katherine schaute starr vor sich hin. Sie hatte einen Cretonne-Schirm in der Hand, und mit dessen Spitze zeichnete sie kleine Figuren in den Kies vor ihren Füßen.
«Ich habe Ihnen eine Frage über Major Knighton gestellt, jetzt stelle ich Ihnen noch eine. Gefällt Ihnen Mr Derek Kettering?»
«Ich kenne ihn ja kaum», sagte Katherine.
«Das ist keine Antwort.»
«Ich glaube doch.»
Er sah sie an, vom Ton ihrer Stimme eigenartig berührt. Dann nickte er ernst und langsam.
«Vielleicht haben Sie Recht, Mademoiselle. Sehen Sie, ich, der ich mit Ihnen rede, habe viel von der Welt gesehen, und ich weiß, es gibt immer zwei Wahrheiten. Ein guter Mann kann durch die Liebe zu einer schlechten Frau ruiniert werden – aber auch das Gegenteil gilt. Ein schlechter Mann kann ebenso durch die Liebe zu einer guten Frau ruiniert werden.»
Katherine blickte scharf auf.
«Wenn Sie ruinieren sagen…»
«Ich meine, von seinem Standpunkt aus. Bei Verbrechen, wie bei allem anderen, muss man mit ganzem Herzen bei der Sache sein.»
«Sie wollen mich warnen», sagte Katherine leise. «Vor wem?»
«Ich kann nicht in Ihr Herz sehen, Mademoiselle; und wenn ich könnte, würden Sie mich, glaube ich, nicht lassen. Ich will nur so viel sagen: Es gibt Männer, die eine seltsame Faszination auf Frauen ausüben.»
«Der Comte de la Roche», sagte Katherine mit einem Lächeln.
«Es gibt andere – gefährlicher als der Comte de la Roche. Sie haben attraktive Eigenschaften – Kühnheit, Rücksichtslosigkeit, Wagemut. Sie sind fasziniert, Mademoiselle, das sehe ich, aber ich glaube, es ist nicht mehr als das. Dieser Mann, von dem ich rede – was er empfindet, ist durchaus echt, aber trotzdem…»
«Ja?»
Er stand auf und sah zu ihr nieder. Dann sagte er leise, aber sehr deutlich:
«Sie könnten vielleicht einen Dieb lieben, Mademoiselle, aber keinen Mörder.»
Damit wandte er sich rasch ab und ließ sie dort sitzen.
Er hörte ihren leichten Seufzer, schenkte dem aber keine Aufmerksamkeit. Er hatte gesagt, was er hatte sagen wollen. Nun ließ er sie diesen letzten, unmissverständlichen Satz verdauen.
Derek Kettering, der aus dem Casino in die Sonne trat, sah sie allein auf der Bank sitzen und gesellte sich zu ihr.
«Ich habe gespielt», sagte er, mit einem leichten Lachen. «Erfolglos natürlich. Ich habe alles verloren – ich meine natürlich alles, was ich bei mir hatte.»
Mit besorgtem Gesicht sah Katherine ihn an. Sogleich spürte sie etwas Neues an ihm, eine verborgene Erregung, die sich durch hundert winzige Zeichen verriet.
«Ich
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