Der blaue Tod
die beiden? Haben die den Willy auf dem Gewissen? Warum fragst du mich nach alledem?»
Sören zuckte mit den Schultern. «Es ist da irgendwas im Anzug … Ein ziemlich krummes Ding.»
«Hier?» Zinken lachte auf. «Davon wüsste ich.»
«Irgendwo in der Stadt. Am 22. August», meinte Sören mit ernster Stimme. «Das ist in fünf Tagen.»
Hannes Zinken schüttelte energisch den Kopf. «Das kann nicht sein. Hier läuft nix, ohne dass ich davon erfahre.»
«Scheint wieder was mit Blut zu sein, Hannes.» Sören erhob sich. «Ach, noch was: Hast du schon mal von einer Inge Bartels gehört?»
«Wer soll denn das nun schon wieder sein?»
«War mal Wirtin in der ‹Roten Rose›.»
«Nie gehört den Namen, und die ‹Rose› gibt’s nicht mehr.» Hannes Zinken streckte Sören die Hand entgegen. «Ich mach lange Ohren, ich versprech’s dir. Wenn ich was höre, dann erfährst du’s.»
Ein kleiner Junge kam auf den Hof gerannt. «Opa Zinken! Opa Zinken!», rief er außer Atem. «Das Mariechen hat sich inne Röcke gemacht. Nu sieht se ganz elend aus!»
Hannes Zinken erhob sich schwerfällig von seinem Hocker. «Na, die kann was erleben. – Meine Nichte», meinte er zu Sören gewandt.
Der Junge zog an der Hand des Alten. «Komm schnell! Ganz blau is die!»
Sören musste nur einen Blick in den Kellerraum werfen, um die Situation richtig einzuschätzen. Das Mädchen auf dem Boden wand sich in Krämpfen und würgte ununterbrochen Galle. Ihre Augen waren eingefallen und ihre Haut bläulich verfärbt. Um sie herum hatte sich eine Lache flüssiger Exkremente ausgebreitet. Es stank erbärmlich. Sören lief hinein, packte das Mädchen vorsichtig unter den Achseln und trug es aus dem Keller. Ihr Körper zitterte, und außer einem würgenden Röcheln gab sie keinen Ton von sich.
«Was ist mit ihr?», fragte Hannes Zinken, der wusste, dass Sören über medizinische Kenntnisse verfügte.
«Sie muss dringend ins Krankenhaus», entgegnete Sören und tupfte dem Mädchen mit einem Taschentuch die Stirn ab. «Ich fahre sie mit meiner Droschke nach Eppendorf.» Zinken wollte etwas einwenden, aber Sören kam seinen Worten zuvor. «Sie stirbt sonst. – Wie komme ich hier am schnellsten raus? Mein Wagen steht am Schaarsteinweg.»
«Bring ihn hin!», schnauzte der Alte den Jungen an. «Und dann zeigst du dem Mann die Hofeinfahrt am Krayenkamp!»
«Sie muss warm gehalten werden», wies Sören den Alten an. «Am besten wickelst du sie in eine Decke ein.»
«Bei der Hitze?»
«Mach, was ich sage, Hannes. Ihr Zustand ist bedenklich. Am besten legst du sie auf ein Türbrett, so können wir sie am einfachsten zum Wagen tragen. Hast du Schnaps im Haus?»
Der Alte blickte Sören entgeistert an und nickte.
«Gut», meinte Sören. «Wasch dir gründlich die Hände mit dem Zeug und spül dir am besten auch den Mund aus. Und rühr um Gottes willen die Sauerei im Keller nicht an. In ihren Ausscheidungen lauert der Tod. Du musst alles mit Chlorkalk bedecken. Besorg dir am besten einen ganzen Sack davon!»
Sören staunte, wie kurz der Weg aus dem Labyrinth des Viertels in Wirklichkeit war. Innerhalb weniger Minuten hatten sie den Schaarhof erreicht, der auf die Große Bäckerstraße mündete. Der Junge kannte eine Abkürzung durch die Höfe zum Herrengraben. Von hier aus waren es nur noch wenige Meter bis zu dem Platz, wo Sören dieDroschke geparkt hatte. In der Nähe von St. Michaelis gab es eine Apotheke. Wenn sich das Mädchen wirklich mit Cholera infiziert hatte, war größte Vorsicht geboten. Sören kaufte eine Flasche Kaliseifenlösung und rieb sich vorsorglich die Hände ab.
Der Wagen passte gerade eben durch die enge Einfahrt. Zu Hannes Zinken hatten sich inzwischen zwei kräftige Männer und eine ältere Frau gesellt. Sie warteten am Ende des Gangs. Wie verabredet, war das Mädchen in Wolldecken eingehüllt und lag auf einem ausgehängten Türbrett. Sie schien in den Minuten seiner Abwesenheit um Jahre gealtert zu sein. In Wirklichkeit mochte sie etwa sechzehn Jahre alt sein, aber jetzt sah sie aus wie eine alte Frau. Das Türbrett passte nicht auf den Wagen. Einer der Männer hielt das Mädchen, das apathisch in den Himmel blickte, während der Fahrt im Arm. Obwohl Sören das Pferd antrieb, brauchten sie zwei Stunden bis nach Eppendorf.
Doktor Rumpel, der die Patientin entgegengenommen und untersucht hatte, machte ein besorgtes Gesicht. Der Arzt war noch sehr jung, etwa dreißig, wie Sören schätzte. «Sie sind
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