Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der blaue Tod

Der blaue Tod

Titel: Der blaue Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
Vom Netzwerk:
dass Medicinalrat Kraus sich weigert, Ihre Meldungen an die entsprechenden Stellen weiterzuleiten?»
    «Es ist seine verdammte Pflicht, das zu tun!» Rumpf lächelte Sören gequält an. «Aber nur dann, wenn wir den Erreger isoliert in Kultur genommen haben. Das wäre dann der Beweis.»
    «Und wie lange mag das dauern?»
    Rumpf zuckte die Achseln. «Es gibt so gut wie keinen Arzt hier in der Stadt, der mit den entsprechenden Methoden und Verfahren vertraut ist. Die Hamburger Ärzte scheinen nicht viel von Robert Koch zu halten.» Er deutete auf den hinteren Teil der Baracke, der offenbar als Labor diente. «Meine Kollegen Gläser und Erman versuchen seit zwei Tagen, die Vibrionen, die wir gefunden haben, in Kultur zu nehmen. Bislang erfolglos. Unser Spezialist für diese Sachen, der Kollege Dr.   Fraenkel, befindet sich unglücklicherweise im Urlaub.»
    «Das heißt, solange vonseiten der Stadt keine Maßnahmengetroffen werden, kommt Ihre Arbeit hier einem Tropfen auf den heißen Stein gleich?»
    «Das klingt bitter, aber so ist es. Wir tun unser Bestes, aber es bleibt nur Flickschusterei.»
    «Wie behandeln Sie?», fragte Sören interessiert. Ihm war nicht bekannt, in welcher Form die moderne Medizin einer Infektion mit dem Choleraerreger begegnete.
    «Das hängt stark vom Zustand der Patienten ab. Merkwürdigerweise scheint es schlimmere und weniger dramatische Krankheitsbilder zu geben. Am wichtigsten sind natürlich zuerst die lebenserhaltenden Maßnahmen. Da kommt es vor allem darauf an, die lebensgefährliche Dehydrierung zu unterbinden. Da die meisten jegliche Flüssigkeit immer wieder erbrechen, versuchen wir es mit der russischen Methode. Das heißt, wir verabreichen große Mengen einer Kochsalzlösung intravenös. Leider birgt diese Methode die Gefahr einer Embolie. Unsere Infusionsnadeln sind einfach zu groß, sodass immer wieder Luft in den Blutkreislauf gelangt. Außerdem besteht dabei natürlich die Gefahr einer Septikämie, wenn die Bestecke nicht absolut steril sind. Aber was bleibt uns schon anderes übrig? Wenn der Patient so weit stabil ist, gehen wir daran, den Verdauungstrakt zu säubern. Die Bazillen müssen abgetötet werden. Derzeit verabreichen wir eine geringe Dosis von Gerbsäure und Kalomel.»
    Sören nickte stumm. Er bedauerte es nicht, dass er die Medizin an den Nagel gehängt hatte. Um nichts in der Welt wollte er in diesem Moment in der Haut von Doktor Rumpf stecken. «Und wo kommt der Erreger her? Wie entsteht er?», fragte er.
    «Er entsteht nicht», antwortete der Arzt. «Er verbreitet sich nur und gedeiht und überlebt unter bestimmten Voraussetzungen prächtig.»
    «Und wie verbreitet er sich?»
    Rumpf wiegte unschlüssig den Kopf hin und her. «Wir sehen eigentlich nur eine Möglichkeit   …»
    «Und die wäre?»
    «Es schlängeln sich mehr als 400   Kilometer Rohrleitung der Wasserversorgung durch die Stadt. Wenn sich der Bazillus dort eingenistet haben sollte   …»
    «Das Trinkwasser also? Das wäre eine Erklärung.»
    «Kochen Sie das Wasser ab», sagte Rumpf bloß und reichte Sören ein Fläschchen Lysol. «Sie sollten sich gründlich waschen   … Ich werde alles in meiner Macht Stehende für das Mädchen tun.»
    Sören zog die Flasche mit Kaliseifenlösung aus der Rocktasche. «Danke, aber ich habe bereits vorgesorgt.»
    «Sie kennen sich aus?»
    «Ein wenig», entgegnete Sören. «Nur ein wenig.»

Nächtliches
    17.   August
     
    S ören zog seine Taschenuhr hervor und kontrollierte die Uhrzeit. Es war bereits Viertel nach zehn. Die Vorstellung musste längst beendet sein, denn der Trubel vor dem zur Dammthorstraße gelegenen Haupteingang des Stadttheaters ebbte langsam ab. Das Gros der Besucher hatte das Haus bereits verlassen, nur noch vereinzelt wendeten Droschken vom benachbarten Wartestand auf der anderen Straßenseite, um Fahrgäste vor dem Theater aufzunehmen. Wo blieb sie nur? Sören blickte wie gebannt auf den Bühneneingang an der Großen Theaterstraße, aber dort tat sich nichts. Wahrscheinlich hielten die Mitglieder des Orchesters noch so etwas wie eine Besprechung ab. Lange konnte es eigentlich nicht mehr dauern. Sören war gespannt, wie Fräulein Eschenbach auf seine Anwesenheit reagieren würde. Den Gedanken, dass sie möglicherweise zu müde sein könnte, um mit ihm noch irgendwo einzukehren, verwarf er schnell. Natürlich würde sie sich über diese Überraschung freuen.
    Ein Mann schob seinen Handkarren laut rumpelnd an ihm vorbei über das

Weitere Kostenlose Bücher