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Der blaue Tod

Der blaue Tod

Titel: Der blaue Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
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nicht der Erste heute.» Er schüttelte den Kopf. «Das ist der sechste oder siebte Fall seit den Morgenstunden.»
    «Ist das Cholera?», fragte Sören.
    «Den Symptomen nach, ja. Am besten sprechen Sie mit Doktor Rumpf, meinem Chef. Wir haben Proben der Ausscheidungen eines anderen Patienten mit denselben Symptomen unter dem Mikroskop gehabt und kommaförmige Stäbchen ausmachen können. Aber jeder Versuch, die Stäbchen in Petrischalen in Kultur zu nehmen, ist uns bislang misslungen.»
    «Wo finde ich Dokter Rumpf?»
    Der junge Arzt zeigte auf einen der Pavillons, die auf dem Gelände verteilt standen wie Garnisonszelte römischer Legionäre. Das ganze Krankenhaus bestand eigentlich nur aus diesen frei stehenden Pavillons, die sich glichen wie ein Ei dem anderen. Es waren einfache, hölzerne Baracken, deren Außenwände von einer Vielzahl senkrechter Holzleisten gegliedert wurden. Besonders charakteristisch waren die Lüftungshauben auf den Satteldächern sowie die großen, weiß gestrichenen Sprossenfenster, deren untere Scheiben aus milchigem Glas bestanden. Viele moderne Krankenhäuser wurden neuerdings in dieser Form errichtet; die Bauweise sollte die Ansteckungsgefahr unter den Patienten minimieren. Außerdem bot ein solches System die Möglichkeit, die Anlage nach und nach mit einfachen Mitteln zu erweitern. «Ich glaube, er ist gerade in B7.   Das ist die Baracke hinter dem Waschhaus.»
     
    «Wenn das so weitergeht, brauchen wir hier spätestens in einer Woche ein Feldlazarett!» Doktor Rumpf war sichtlich erregt, als Sören ihn nach der Anzahl der Patienten mit ähnlichen Symptomen fragte. «Seit drei Tagen verdoppelt sich die Zahl von Tag zu Tag. Wir haben noch Kapazität für etwa vierzig Kranke, dann müssen wir Notbetten in den Krankenlagern aufstellen. Fragen Sie mich nicht, wo das enden soll.»
    «Also eine Epidemie?»
    Doktor Rumpf nickte. «Wie sollen wir es sonst nennen? Die Patienten kommen aus allen Stadtteilen, und die Symptome sind identisch. Vor allem die Altstadt, St.   Georg und der Billwärder Ausschlag scheinen betroffen zu sein. Die junge Frau, die Sie brachten, ist unser vierterFall aus der Neustadt heute. Alle aus dem Gebiet um den Großneumarkt. Da geht es also auch los.»
    «Es gibt demnach keinen einzelnen lokalen Herd?», fragte Sören.
    «Nein», antwortete Rumpf. «Eine Ansteckung zwischen den eingelieferten Personen können wir ausschließen. Hier handelt es sich nicht um einen Erreger, der per Tröpfcheninfektion übertragen wird, wie etwa bei der Tuberkulose. Aus den anderen Krankenhäusern der Stadt hört man ähnliche Vorfälle. Ich habe mit Doktor Kümmell vom Marienkrankenhaus gesprochen. Das gleiche Bild. Auch er sieht die Gefahr einer epidemischen Verbreitung innerhalb der ganzen Stadt. Es ist sehr beunruhigend.»
    Sören nickte. «Ihr Kollege Rieder vom Krankenhaus in St.   Georg ist der gleichen Ansicht. Was gedenken Sie zu tun?»
    «Was ich zu tun gedenke? Mir sind die Hände gebunden!» Doktor Rumpf machte eine Geste der Hilflosigkeit. «Fragen Sie die Oberaufsicht! Fragen Sie Medicinalrat Kraus. Ich habe die Vorfälle natürlich sofort gemeldet und meinen Verdacht geäußert, aber er schüttelt nur den Kopf. Kraus ist der Meinung, es handele sich um eine zufällige Häufung einzelner Fälle von Cholera nostras, so nennt man gemeinhin die unspezifischen Formen choleraähnlicher Erkrankungen des Verdauungstraktes, wie sie während der Sommermonate in der Stadt durchaus vorkommen können. Von einer Epidemie will Kraus nichts wissen. Meine Diagnose glaubt er nicht. Es scheint geradezu, als käme die Cholera asiatica in der Hamburger Medicinal-Ordnung gar nicht vor.»
    «Was sagen Ihre Kollegen?»
    «Viele trauen sich nicht, ihre Diagnose beim Namen zu nennen. Eine epidemische Ausbreitung der asiatischen Cholera hätte schwerwiegende Folgen für die Stadt. Nicht nur, was die Krankheit an sich betrifft, sondern vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht. Da möchte man, wenn es irgend geht, den Deckel auf dem Topf lassen. Die ganze Stadt würde ja mit sofortiger Wirkung unter Quarantäne gestellt. Können Sie sich vorstellen, was da für eine Verantwortung auf den Ärzten ruht, falls sich ihre Diagnose im Nachhinein als falsch herausstellt? Und selbst wenn es jemand wagen sollte   … Man kommt an Kraus nicht vorbei. Er hat die Oberaufsicht über die öffentliche Gesundheit der Stadt, die Oberaufsicht über die gesamte Ärzteschaft   …»
    «Wollen Sie etwa andeuten,

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