Der blaue Tod
Hand zur Begrüßung entgegen. «Haben Sie gefunden, wonach gesucht wird?»
So, wie sie sich ausdrückte, klang es, als hätte sie ihn mit der Suche nach einem verlorenen Ohrring beauftragt. Mit Erstaunen nahm Sören zur Kenntnis, dass Johanna von Wesselhöft völlig unbeteiligt wirkte. Ihre grauen Augen blickten ihn scheinbar desinteressiert an. Für einenMoment zweifelte Sören an seiner These, dass sie in Wirklichkeit die Mutter des gesuchten Kindes war.
«Ich habe einige Erkundigungen eingeholt», begann er behutsam. «Dabei bin ich über Dinge gestolpert, die ich mir nicht erklären kann.» Er deutete auf die Tür. «Können wir …»
Johanna von Wesselhöft nickte. «Mein Mann hat das Haus kurz nach Sonnenaufgang verlassen. Wir sind ungestört.»
«Gut.» Sören verschränkte die Arme hinter dem Rücken und ging einige Schritte im Raum umher. «Es gibt Grund zu der Annahme, dass das Kind Ihrer Schwester tatsächlich am Leben ist.» Er beobachtete sie genau: Ihr Gesicht blieb ohne jede Regung.
«Haben Sie diese Landamme ausfindig machen können?»
«Inge Bartels?», fragte Sören nach und wartete, bis Johanna von Wesselhöft genickt hatte. «Bislang noch nicht», erklärte er. «Aber das ist nur eine Frage der Zeit.» Dass ihre Augenlider bei Nennung des Namens kurz gezuckt hatten, war ihm nicht entgangen. «Nein, meine Fragen beziehen sich auf Ihre Schwester … Viktoria.»
Johanna von Wesselhöft blickte erst verlegen beiseite, dann wandte sie sich der Harfe zu und ließ ihre Hand spielerisch über die Saiten streichen. «Woher wissen Sie …?»
«Sie haben schließlich einen Anwalt konsultiert, und Sie sprachen von einer erbrechtlichen Berücksichtigung.»
«Ich hätte es mir denken können.» Johanna von Wesselhöft vermied es, in Sörens Richtung zu blicken.
«Ihre Schwester ist vor vier Jahren verstorben.» Sörenhatte noch nicht in Erfahrung bringen können, ob die Tote verheiratet gewesen war, von daher umging er den Familiennamen. «Und jetzt frage ich mich natürlich, aus welchem Grund Sie Viktorias Tochter suchen und vor allem, in welcher Form sie erbrechtlich berücksichtigt werden kann. Weiß Ihr Mann von Ihrem Vorhaben?»
«Nein.» Johanna von Wesselhöft erbleichte. «Er darf um Gottes willen nichts davon erfahren.»
Sören nahm zur Kenntnis, dass sich hinter den farblosen Augen mit dem kalten Blick anscheinend doch ein paar Gefühle verbargen. Aber so, wie ihn Johanna von Wesselhöft anschaute, empfand sie momentan eher Angst als Sorge. Und wenn es denn ihr eigenes Kind war, dann hatte dieser Blick nichts von mütterlichem Kummer oder Verzweiflung, sondern war allein von Furcht gezeichnet. Einer Furcht vor etwas, das Sören noch nicht ergründet hatte.
«Sagten Sie eben
Tochter
?», fragte Johanna von Wesselhöft.
«Ja.» Er hatte nicht aufgepasst; aber eigentlich war es längst an der Zeit, das Katz-und-Maus-Spiel zu beenden. Er war gespannt, wie Johanna von Wesselhöft reagieren würde, wenn er ihr erzählte, was ihr Vater den armen Kreaturen angetan hatte. Oder wusste sie gar davon? «So viel habe ich bereits herausfinden können: Das Mädchen hat in einem der Etablissements gearbeitet, die Ihrem Vater gehörten.»
«Meinem Vater? Er ist Anfang des Jahres gestorben.»
«Das erwähnten Sie bereits.»
«Die Reederei führt seither mein Bruder, Gunnar Smitten.»
«Auch das ist mir bekannt», antwortete Sören. «Aber darum geht es hier nicht.»
«Von Etablissements weiß ich nichts.» So, wie sie es aussprach, wusste Johanna von Wesselhöft sehr wohl von der Existenz dieser Immobilien und ihrer Nutzung. Sie schüttelte vehement den Kopf wie jemand, der sich selbst belog.
Aber Sören war das Versteckspiel endgültig leid. Er hatte der Frau jetzt genug Gelegenheit gegeben, den wirklichen Hintergrund ihres Auftrags zu offenbaren. «Inge Bartels war weniger Landamme als vielmehr Beherbergerin in einem der Bordelle, die Ihrem Vater gehörten.» Er registrierte, dass ihre schmalen Lippen nervös zu zucken begannen. «Muss ich, was das von Ihnen gesuchte Mädchen betrifft, noch deutlicher werden?»
«Was Sie insinuieren, ist unerhört», antwortete Johanna von Wesselhöft voller Entrüstung.
Sören nickte. «Ja, da gebe ich Ihnen Recht. Es ist wirklich unerhört.» Er beobachtete, wie ihr Blick hilflos durch den Raum kreiste. «Aber wenn unser Kontrakt bestehen bleiben soll», fuhr er unbeeindruckt fort, «dann wird es Zeit, dass Sie mir jetzt reinen Wein einschenken.
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