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Der blaue Tod

Der blaue Tod

Titel: Der blaue Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
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Andernfalls   …»
    Johanna von Wesselhöft unterbrach ihn mit einer heftigen Handbewegung. Dann ging sie zur Tür und kontrollierte, ob jemand vom Personal in Hörweite war. «Wir werden erpresst», sagte sie mit gedämpfter Stimme, nachdem sie die Tür wieder geschlossen hatte.
    «Erpresst?», fragte Sören. «Von wem? Womit?»
    «Von dieser Bartels», erklärte Johanna von Wesselhöft. «Mein Bruder wird erpresst.»
    Sören verstand nicht. «Ihr Bruder?»
    Johanna von Wesselhöft hob hilflos die Arme in die Höhe, dann vergrub sie ihr Gesicht zwischen den Händen. «Mein Mann darf keinesfalls davon erfahren. Es ist eine Schande für die ganze Familie. Ich war doch noch ein Kind   …»
    «Es ist Ihr Kind?»
    Johanna von Wesselhöft nickte nur stumm, dann ging sie zu einem der Fenster, schob den schweren Vorhang ein Stück beiseite und blickte durch die Scheibe nach draußen. Ihre Brust hob und senkte sich schnell.
    «Und Sie haben mich eingeschaltet, um an die Adresse der Bartels zu gelangen. Es geht Ihnen gar nicht um das Kind.» Die Schärfe seiner Worte tat Sören fast Leid. Es war nicht zu übersehen, dass Johanna von Wesselhöft mit den Tränen kämpfte.
    «Doch. Auch. Aber verstehen Sie mich. Unsere Ehe ist kinderlos geblieben. Ich kann keine weiteren Kinder mehr bekommen. Es ist etwas passiert, damals bei der Niederkunft   …»
    «Wer ist der Vater des Kindes?», fragte Sören.
    Johanna von Wesselhöft drehte sich abrupt um und sah Sören erschrocken an. «Darauf kann ich Ihnen nicht antworten.»
    «Wer ist der Vater?», wiederholte Sören.
    Sie begann zu schluchzen. «Ich kann es Ihnen nicht sagen. Ich war doch noch ein Kind. Ich wusste doch nicht   …»
    «Ich werde Ihnen den Namen Ihrer Tochter erst verraten, wenn Sie mir sagen, wer der Vater ist, und wenn Sie mir versprechen, mit Ihrem Mann darüber zu reden. Wie wollen Sie sich sonst um Ihre Tochter kümmern?»
    «Sie kennen den Namen also?»
    Sören nickte. Im gleichen Augenblick wurde die Tür aufgerissen, und ein Hausdiener stürzte in den Raum. «Gnädige Frau!», rief er atemlos und hastete an Sörenvorbei. «Gnädige Frau. Es ist so furchtbar. Ein Unglück ist geschehen!»
    Der Diener war so aufgewühlt, dass er kaum einen vollständigen Satz über die Lippen brachte. Anfangs hatte es noch so geklungen, als wenn Adolph von Wesselhöft einen Unfall gehabt hatte, dann fiel jedoch das fatale Wort
Duell
, und Sören schwante, was passiert sein musste. Auch wenn der Hausdiener immer noch zusammenhanglos stammelte, ging aus seinen Worten eines ziemlich deutlich hervor: Der Senator war nicht mehr am Leben.
     
    Sören hatte Johanna von Wesselhöft geraten, nicht zu fahren, aber sie hatte darauf bestanden. Sie hatte sich nicht einmal davon abbringen lassen, die Zügel selbst in die Hand zu nehmen. Sören hatte Schwierigkeiten, ihrem Landauer zu folgen. Die Fahrt ging hinauf bis zum Langen Zug, dort folgten sie dem Straßenverlauf, querten die Adolphstraße und fuhren parallel zum Canal der Osterbek weiter, bis die gewaltige Silhouette der Barmbecker Gas-Anstalt vor ihnen auftauchte. Vor den riesigen Gasometern bogen sie rechts in den Weidendamm. Hinter der Gas-Anstalt hörte die Bebauung schlagartig auf. Jenseits der Straße erstreckten sich Wiesen und Weideflächen. In östlicher Richtung konnte man weit dahinter das Dorf Barmbeck erkennen. Sie bogen in einen schmalen Feldweg ein und folgten dem Verlauf der ab hier unbefestigten Osterbek.
    Am Ende des Weges konnte Sören mehrere Pferde und zwei Wagen ausmachen. Einer davon, das wusste er, war ein städtischer Leichenwagen. Als sie näher kamen, sah er am anderen Wagen das Wappen der von Wesselhöfts. Die Szenerie war gespenstisch. Unter einer altenWeide stand eine kleine Gruppe Männer, darunter drei Polizisten. Ein Polizeileutnant von der Berittenen sowie zwei Constabler, wie an ihren Uniformen unschwer zu erkennen war. Vor ihnen auf der Wiese lag ein Körper, den man mit einem hellen Leinentuch abgedeckt hatte. Auf Höhe der Körpermitte zeichnete sich ein roter Fleck auf dem Tuch ab.
    Nachdem sie den Landauer aus voller Fahrt zum Stehen gebracht hatte, sprang Johanna von Wesselhöft vom Wagen und rannte auf einen Mann zu, der neben der Kutsche des Senators stand. «Johann! Johann! Warum haben Sie das nicht verhindert? Warum?», schrie sie hysterisch auf den Mann ein und trommelte mit den Fäusten im Takt ihrer Worte gegen seine Brust. Dann fiel sie vor ihm auf die Knie. Einen solchen

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