Der Blaumilchkanal
»Unsere Jugend ist verrückt nach dem Fernsehen, und ihr einziger Lesestoff sind amerikanische Magazine. Die Literatur stagniert.«
Wir nickten deprimiert.
Uri sprang auf: »Worte, Worte, Worte«, brach es aus ihm hervor. »Wir müssen handeln. Wir sind jung, stark und schön. Wir glauben an eine bessere Zukunft. Retten wir die Kultur.«
Röte legte sich auf unsere Wangen, Unternehmungslust blitzte in unseren Augen, unsere Körper strafften sich:
»Wir müssen einen Club gründen«, schlug ich vor. »Wir müssen alle jungen, lebendigen, selbstlosen Kräfte sammeln, denen das geistige Ansehen unseres Landes noch etwas bedeutet.«
»So ist es«, rief Jakob begeistert. »Gründen wir einen Kris der Jungen Kulturfreunde.«
Bis zur Morgendämmerung saßen wir beisammen und diskutierten unsere Pläne. Wir wollten ein Lokal mieten und es gemütlich herrichten als eine Oase der Begegnung. Dort sollten auch literarische Abende stattfinden, und ihr Reinertrag würde jungen Talenten ; tugutekommen. Gleich am nächsten Tag machten wir uns auf die Suche und fanden tatsächlich einen geeigneten Kellerraum. Aber der Eigentümer, ein aus Griechenland eingewanderter Gemüsehändler, wollte ihn nicht an uns vermieten.
»Erstens, wer sind Sie?« fragte er. »Zweitens, was sind Sie? Drittens, was für ein Kreis ist das? Und viertens, wo sind die schriftlichen Unterlagen?«
Wir brachen in lautes Gelächter aus. Schriftliche Unterlagen! Wozu brauchen wir schriftliche Unterlagen? Unser gemeinsames Ziel und unsere innige Liebe zur Kultur sind doch wohl mehr wert als ein albernes Stück Papier. Aber der Grieche bestand darauf, nur mit ei-ttem eingetragenen Verein zu verhandeln, sonst wüßte er ja nie, bei wem er die rückständige Miete einkassieren sollte.
Wir mußten wohl oder übel einen Rechtsanwalt suchen, der für uns diese läppischen Formalitäten erledigen könnte.
Der Rechtsanwalt, ein gewisser Dr. Shay-Sonnenschein, empfing uns in seiner Kanzlei, die einen ausgezeichneten Eindruck auf uns machte, obwohl sie im früheren Lichtschacht des Hauses untergebracht war und keine Fenster hatte.
»Ich freue mich, Sie kennenzulernen«, sagte Dr. Shay-Sonnenschein. »Was kann ich für Sie tun?«
»Wir sind jung, Herr Doktor, und haben noch Ideale«, belehrte ihn Jakob. »Wir wollen unsere ganze Kraft in den Dienst der geistigen Regeneration unseres Volkes stellen, um künftigen Generationen ein kultiviertes Leben zu garantieren.«
»Ich verstehe«, nickte der Anwalt. »Sie wollen eine Non-Profit-Gesellschaft gründen.« »Sagten Sie Profit?« fragte Chaim. »Wir denken nicht an Profit und werden auch keinen haben.«
»Das kann man vorher nie wissen«, entgegnete der Jurist. »Heute sind Sie noch jung und naiv, aber in zehn Jahren werden Sie über manche Dinge anders denken. Ich rate Ihnen, eine sogenannte >Ottomanische Gesellschaft< zu gründen.«
Wir waren einverstanden, schon weil wir nicht fragen wollten, was das bedeutete. Aber Dr. Shay-Sonnenschein wollte noch eine Reihe von Details wissen.
»Zum Beispiel muß in den Statuten genau festgelegt sein, wie die Gesellschaft aufgelöst wird«, sagte er.
Wir begannen uns zu ärgern. Weshalb sollten wir an unsere Auflösung denken, da wir doch eine Gründung wollten. Wir sagten ihm das klipp und klar.
»So einfach ist das nicht.« Der Profi schüttelte den Kopf. »Heute vertragen Sie sich noch, aber wer weiß, wie das in zehn Jahren aussieht. Man sollte von Anfang an jede Möglichkeit einkalkulieren. Ich schlage vor, daß die Liquidation des Vereins nur durch einstimmigen Beschluß der Generalversammlung erfolgen kann.«
»Wie Sie meinen«, sagte ich sarkastisch.
»Gut. Und jetzt müssen wir uns noch darüber einigen, wie in diesem Fall das Eigentum des Vereins aufgeteilt wird.«
»Was für ein Eigentum?«
»Warten Sie ab. In zehn Jahren, wie gesagt. Üblicherweise erhalten die Mitglieder der Generalversammlung zu gleichen Teilen den Grundbesitz und das bewegliche Eigentum. Im Streitfall entscheidet das Schiedsgericht.«
»Streitfall? Schiedsgericht? Was soll das?«
»Das werden Sie dann schon sehen. Es tut mir leid, aber ich muß Sie auf alle diese Dinge hinweisen. Das ist meine Pflicht als Anwalt. Heute sind Sie noch jung, aber so jung werden Sie nicht bleiben. Übrigens müssen wir noch festlegen, wer Mitglied werden kann.«
»Jeder kreative Mitbürger mit Liebe zur Kultur.«
»Das ist keine juristische Definition. Also muß das Präsidium die Entscheidung
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