Der Blaumilchkanal
mir einen haßerfüllten Blick zu. »Was macht man mit so einem Lumpen?«
»Man übergibt ihn der Polizei und wählt einen Ersatzmann.«
»Und wenn er Drogen nimmt und Amok läuft? Oder sich als gemeingefährlicher Irrer entpuppt?«
»Sie haben ganz recht, diese Fragen zu stellen. Das alles muß in den Statuten berücksichtigt werden. Das Präsidium muß auch berechtigt sein, alte oder kranke Mitglieder im eigenen Interesse ohne weitere Begründung auszuschließen.«
»Sehr richtig«, krächzte Jakob. »Wir brauchen keine Krüppel.«
Chaim, der an Magengeschwüren leidet, wurde blaß:
»Und was«, fragte er mit drohend gesenkter Stimme, »was geschieht, wenn einer von uns einen andern umbringt?«
»Dann hätte vor allem ein innerhalb des erweiterten Präsidiums zu konstituierender Rechnungsausschuß über die Höhe der Entschädigung zu beraten, die an die Witwe zu zahlen wäre. Aber auf solche Details brauchen wir heute nicht einzugehen, glaube ich.« Dr. Shay-Sonnenschein schloß die Akte mit der Aufschrift »Kreis der jungen Kulturfreunde« und erhob sich. »Ich schlage vor, daß wir in einer Woche wieder zusammenkommen, um über Investitionen, Dividenden und Einfuhrlizenzen zu beraten.«
Uri interessierte sich hauptsächlich für den Import schwedischer Pornofilme, ich legte größeres Gewicht auf Swatch-Uhren. Beim Verlassen des Hauses achtete ich darauf, nicht vorauszugehen. Es ist kein gutes Gefühl, diese Mafiosi im Rücken zu haben, wenn es dunkel wird.
»Also auf Wiedersehen nächste Woche«, murmelte Uri und war verschwunden.
Wir anderen gingen wortlos auseinander. Wir fühlten uns um zehn Jahre älter.
Der Talmud, die Sammlung jüdischer Weisheiten und Interpretation religiöser Gesetze aus dem Alten Testament, halt einige Überraschungen bereit. Unter anderem erklärt er, daß ein Dieb, der einen anderen Dieb bestiehlt, nicht bestraft werden darf.
Das ist sicher ein begrüßenswertes Vorhaben, aber wenn man es verwirklicht, wird die Untersuchung staatlicher Korruption praktisch unmöglich.
Es sei denn, der Dieb nimmt das Siebte Gebot ernst und hat genug vom Stehlen. Dieses Problem ist dann gar nicht mehr zu lösen.
zurück zum Inhaltsverzeichnis
UNSERE TÄGLICHE UNTERSCHLAGUNG GIB UNS HEUTE
Personen: Ziegler , Ein Amtsdirektor, Sekretärin
Ort der Handlung: Eine Regierungskanzlei
Ziegler: Entschuldigen Sie, Herr Direktor. Störe ich?
Direktor: Kommen Sie nur herein, Ziegler. Ich habe genau fünf Minuten für Sie. Setzen Sie sich. Was gibt's?
Ziegler: Es tut mir leid, Ihre kostbare Zeit in Anspruch zu nehmen.
Direktor: Schon gut, Ziegler. Schießen Sie los.
Ziegler: Ich möchte eine Gehaltsaufbesserung haben.
Direktor: Sie wissen doch, daß die öffentlichen Angestellten nach Tarif bezahlt werden. Ziegler: Ich weiß. Aber in Anbetracht der steigenden Lebenskosten...
Direktor: Sprechen Sie nicht weiter. Ihr Gehalt ist eine Angelegenheit direkter Verhandlungen zwischen den Behörden und den Vertretern der Gewerkschaft für Öffentliche Erpressung und Streikandrohung. Stellen Sie sich vor, was geschehen würde, wenn alle 260 Angestellten unserer Abteilung zu mir kämen, um Gehaltserhöhungen zu verlangen- Es überrascht mich ein wenig, daß Sie, ein alter, loyaler Beamter...
Ziegler: Ich verstehe, Herr Direktor. Das heißt also, daß sich nichts machen läßt. Nicht einmal eine Aufbesserung um 50 Schekel netto?
Direktor: Kommt nicht in Frage.
Ziegler: Brutto?
Direktor: Auch nicht.
Ziegler: Dann muß ich also wieder Bestechungen annehmen.
Direktor: Es sieht so aus.
Ziegler: Und ich hatte gehofft, wenigstens dieses Jahr kann ich pausieren. Nicht, daß es gar so schwer wäre. Man findet immer wieder Leute, die bereit sind, einen Beamten zu bestechen. Um die Wahrheit zu sagen, man findet kaum noch Leute, die nicht dazu bereit sind. Im vergangenen Jahr habe ich auf diese Weise ungefähr 60 000 Schekel eingenommen.
Direktor: Übertreiben Sie nicht, Ziegler.
Ziegler: Es war ein sehr gutes Jahr. Die Reorganisation unseres Eisenbahnnetzes hat die Dinge in Schwung gebracht. Ich hab's mir spaßeshalber in diesem Büchlein notiert. Hier, lesen Sie selbst, Herr Direktor.
Direktor: »Oktober. Ankauf gebrauchter Lokomotiven: 15 600 Schekel.« Ja, ich erinnere mich. Ich habe mich damals gefragt, wozu unser Ministerium zwei alte Lokomotiven braucht. Eine hätte genügt. Zeigen Sie her. »November. Griff in die Kasse: 1700 Schekel.« Na, das ist ja nicht so viel.
Ziegler: Der
Weitere Kostenlose Bücher