Der bleiche König: Roman (German Edition)
Hat hier irgendwer schon mal wen in grauem Flanell gesehen?«
»Aus Flanell ist bei mir nur der Pyjama, Mann.«
»Ist Mr Glendenning überhaupt wach?«
»Er sieht total bleich aus.«
»Im Dunklen sieht jeder bleich aus, Mann.«
»Ich meine, gibt es ein allgemeineres Symbol des Konformismus und des Marschierens im Gleichschritt als den Konzern? Montagebänder, Stechuhren und die Leiter zum Eckbüro des Abteilungsleiters hoch? Gaines, Sie haben bei Rayburn-Thrapp doch Außenprüfungen durchgeführt. Die Typen können sich doch ohne Genehmigungsvermerk nicht mal den Hintern abwischen.«
»Aber es geht hier doch nicht um das Innenleben von Unternehmen. Es geht um Gesicht und Stimme der Werbefritzen, die in den späten Sechzigern anfingen, den Konsumenten einzureden, sie bräuchten das alles. Es fing damit an, dass sie ihnen einredeten, ihre Psyche sei konformistisch und aus dem Konformismus würde man nicht etwa ausbrechen, indem man etwas tue , sondern indem man etwas kaufe. Sie machten den Kauf einer bestimmten Marke, ob nun bei Kleidern, Pop, Autos oder Krawatten, zu einer Geste auf derselben Ebene ideologischer Bedeutung wie das Tragen eines Barts oder die Teilnahme an einer Antikriegsdemo.«
»Virginia Slims und die Emanzen.«
»Alka-Seltzer.«
»Ich glaube, irgendwo muss ich hier den Zusammenhang mit dem ›Ich werde sterben‹ verpasst haben.«
»Ich glaube, Stuart spürt dem Übergang vom Produktionsmodell der amerikanischen Demokratie zu etwas nach, was man vielleicht Konsummodell nennen kann, dass die Unternehmensproduktion also von einem Teamansatz abhängt, während man als Kunde immer im Alleingang unterwegs ist. Dass wir konsumierende Bürger werden und keine produzierenden Bürger mehr sind.«
»Warten Sie mal bis 1984, das ist in sechzehn Quartalen. Warten Sie mal die Flutwelle an Werbung und PR ab, mit der dieses oder jenes Produkt als ein probates Mittel beworben wird, um den grauen Totalitarismen der Gegenwart à la Orwells 1984 zu entkommen.«
»Wie soll denn der Kauf einer Schreibmaschine anstelle einer anderen helfen, die staatliche Kontrolle subversiv zu unterwandern?«
»In ein paar Jahren wird es nicht mehr der Staat sein, verstehen Sie das nicht?«
»Und es wird auch keine Schreibmaschinen mehr geben. Alle Welt wird Tastaturen haben, die mit irgendeiner zentralen VAX verkabelt werden, und dann muss man die Sachen gar nicht mehr auf Papier haben.«
»Das papierlose Büro.«
»Das Stu hier obsolet macht.«
»Nein, damit lassen Sie das eigentlich Geniale außer Acht. Das wird sich alles in der Welt der Bilder abspielen. Es wird einen unglaublichen politischen Konsens geben, dass wir der Einengung und Unnachgiebigkeit der Anpassung entkommen müssen, der toten Neonröhrenwelt des Büros und der Bilanzen, des Krawattenzwangs und der Musikberieselung, aber die Konzerne werden uns Konsummodelle als Ausbruchsmöglichkeiten präsentieren – arbeite mit dieser Taschenrechnermarke, hör diese Musik, trag diese Schuhmarke, weil der Rest der Welt Konformistenschuhe trägt. Es wird eine Ära des unglaublichen Wohlstands, des Konformismus und der Demografie der Massen anbrechen, in der es sich in allen Symbolen und aller Rhetorik um Revolution, Krise und kühne, zukunftsorientierte Individuen drehen wird, die im eigenen Rhythmus zu marschieren wagen, indem sie sich mit Marken verbünden, die massiv ins Image der Rebellion investieren. Diese flächendeckenden PR -Kampagnen, die das Individuum rühmen und preisen, werden riesige Märkte für Menschen formen, deren fest verwurzelte Überzeugung, sie seien unverwechselbar, einzigartig und nicht vergesellschaftet, auf Schritt und Tritt gebauchpinselt wird.«
»Aber welche Rolle spielt in diesem Szenario für 1984 der Staat?«
»Wie DeWitt gerade gesagt hat – der Staat wird der Vater sein, mit all den ambivalenten Forderungen von Lieben, Hassen, Brauchen und Trotzen, die sich in der Pubertät ans Vaterbild anlagern, nur möchte ich in diesem Fall mit Verlaub anderer Meinung sein als DeWitt, insofern ich der Ansicht bin, dass die heutige amerikanische Nation weniger infantil als vielmehr pubertär ist – soll heißen, dass sie das ambivalente Doppelverlangen nach autoritären Strukturen einerseits und dem Ende der elterlichen Hegemonie andererseits aufweist.«
»Wir sind die Cops, die man ruft, wenn die Party aus dem Ruder läuft.«
»Sie sehen, worauf das hinausläuft. Die außerordentliche politische Apathie, die sich an Watergate, Vietnam
Weitere Kostenlose Bücher