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Der bleiche König: Roman (German Edition)

Der bleiche König: Roman (German Edition)

Titel: Der bleiche König: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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verkaufte sie aber nie und dealte auch nicht damit – das wäre für ihn schlechtes Karma gewesen. Aber richtig schwer war es eigentlich nicht, da ranzukommen, nur dealte mein Mitbewohner an der UIC grundsätzlich nicht mit Obetrol, legte mir die Daumenschrauben an, weil ich das Aufputschmittel so mochte, nannte es »Mamas kleine Helfer« und sagte, wenn man das haben wollte, bräuchte man im Großraum Chicago nur bei einer x-beliebigen Hausfrau mit Übergewicht zu klingeln, was natürlich total übertrieben war. Aber sonderlich beliebt war es nicht. Es gab dafür auch keine Slangausdrücke oder Euphemismen – wenn man danach fragte, musste man den Markennamen nennen, was aus irgendeinem Grund absolut uncool war, und von meinen Bekannten standen zu wenige darauf, als dass wir obetrollen zu einem angesagten Begriff hätten machen können.
    Dass ich Pot erwähne, liegt am Kontrast. Obetrollen machte mich nicht befangen. Aber es steigerte mein Bewusstsein. Wenn ich in einem Zimmer war, mit einem Glas Wasser ein oder zwei Obetrol runtergespült hatte und die Wirkung einsetzte, war ich nicht mehr nur in dem Zimmer, sondern ich war mir auch bewusst, dass ich in dem Zimmer war. Ich kann mich erinnern, dass ich mir tatsächlich oft gedacht oder auch leise, aber sehr deutlich gesagt habe »Ich bin in diesem Zimmer« . Das ist schwer zu erklären. Damals nannte ich es »Verdoppeln«, aber ich bin mir bis heute nicht ganz sicher, was ich damit meinte oder warum ich es so tiefsinnig und cool fand, nicht nur in einem Zimmer zu sein, sondern auch ganz bewusst wahrzunehmen, dass ich in dem Zimmer war, in einer bestimmten Haltung in einem bestimmten Sessel saß und einen bestimmten Song eines Albums hörte, dessen Cover eine ganz bestimmte Kombination aus Farben und Formen war – mit einem so erweiterten Bewusstsein, dass ich mir bewusst sagen konnte »Ich bin jetzt in diesem Zimmer. Der Schatten vom Fuß dreht sich an der Ostwand. Der Schatten ist nicht als Fuß erkennbar, weil der Stand der Sonne hinter dem Schild den Winkel des Lichteinfalls so verzerrt. Ich sitze aufrecht in einem dunkelgrünen Sessel mit einem Zigarettenbrandfleck in der rechten Armlehne. Der Brandfleck ist schwarz und hat eine unregelmäßige Kreisform. Der Song, den ich gerade höre, ist »The Big Ship« von Brian Enos Another Green World , auf dessen Cover bunte ausgeschnittene Figuren in einem weißen Rahmen stehen.« Einfach so festgestellt, mögen so viele Einzelheiten dröge wirken, aber das waren sie nicht. Sie fühlten sich eher wie ein sei’s auch nur kurzes Auftauchen aus der Schwammigkeit und dem Treibenlassen an, die mein damaliges Leben prägten. Als wäre ich eine Maschine, die plötzlich erkennt, dass sie ein menschliches Wesen ist und nicht einfach bloß die mechanischen Abläufe durchexerzieren muss, für deren ewige Wiederkehr sie programmiert wurde. Es hatte auch mit Aufmerksamkeit zu tun. Es war anders als die normale Drogenerfahrung, bei der einem Farben bunter und Musik intensiver bewusst werden. Intensiver wurde eher die Bewusstheit meiner eigenen Rolle dabei, dass ich wirklich aufmerksam sein konnte. Ich betrachtete beispielsweise die institutionsbeigen oder hellbraunen Wohnheimwände und sah sie nicht nur, sondern nahm wahr, dass ich sie sah – ich meine jetzt das UIC-Wohnheim – und normalerweise zwischen diesen Wänden lebte und von ihrer Institutionsfarbe wahrscheinlich auf alle möglichen subtilen Weisen beeinflusst wurde, meistens aber gar nicht merkte, wie ich mich dabei fühlte, nicht wahrnahm, wie es sich anfühlte, sie zu betrachten, meistens nicht einmal ihre Farbe oder Struktur wahrnahm, weil ich nichts je wirklich präzise und aufmerksam musterte. Es war irgendwie frappierend. Die Struktur war eigentlich glatt, aber wenn man genau hinsah, bemerkte man all die kleinen eingelassenen Härchen und Klümpchen, die Anstreicher hinterlassen, wenn sie pauschal und nicht nach Stunden entlohnt werden und von daher ein Interesse daran haben, schnell fertig zu werden. Wenn man etwas genau betrachtet, kann man praktisch immer die Lohnstruktur erkennen, unter der der Produzent arbeitete. Oder dass der jeweilige Stand und die Höhe der Sonne die Form des Schildschattens veränderten, der zu schrumpfen und zu wachsen schien, wenn sich das echte Schild auf der anderen Straßenseite drehte, oder dass das Ein- und Ausschalten des Schreibtischlämpchens neben dem Sessel das Wechselspiel von Licht und Schatten auf den verschiedenen

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