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Der blinde Passagier

Der blinde Passagier

Titel: Der blinde Passagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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Neco“, grinst er und schiebt seine Mütze aus der Stirn. „Was gibt’s?“
    „Wie Sie da heute nacht geflogen und gelandet sind, ohne den vierten Motor...“ lasse ich von Rodrigo übersetzen, und ich glaube, ich hab’ einen ganz roten Kopf dabei. .,... ganz weich gelandet wie auf Butter oder Schmierseife. Das war ganz große Klasse. Schönen Dank dafür.“
    Captain Nelson guckt mich eine ganze Weile komisch an und blinzelt ein bißchen mit den Augen. Dann sagt er nur: „Nett von dir. mein Junge. Sogar sehr nett.“
    Überall kann man Tortillas kaufen, die aus Mais gebacken sind und wie Pfannkuchen aussehen. Am offenen Holzkohlefeuer wird Fisch oder Huhn gebraten oder Schweinefleisch. Man ißt mit den Händen, und das Fett trieft nur so. Flaschen mit Zuckerrohrschnaps, mit Wein, Tequila oder Bier wandern herum.
    „Sehr geehrter Herr Schimmelpfennig“ — Rodrigo Sola hält sein Glas in die Höhe „ich wünsche Ihnen ein glückliches neues Jahr.“
    „Gleichfalls“, sage ich. „Gut angefangen hat es auf alle Fälle.“
    Anschließend ist eine Zeitlang kein Wort mehr zu verstehen. Diese Mariachis müssen mit ihren Trompeten mitten in meinem linken Ohr sitzen. Ich höre sie noch bis hierher ins Hotelzimmer.

    Im Flugzeug, 1. Januar
    Der Zocalo liegt mitten in der Stadt wie das Loch in einer Schallplatte. Er soll der größte Platz der Welt und die Avenida Insurgentes die längste Straße der Welt sein. In Mexico City gibt es die meisten Zeitungsverkäufer, die meisten Schuhputzer und die hellste Sonne. Das behaupten jedenfalls die Mexikaner, die auf ihre Stadt und ihr Land unheimlich stolz sind.
    Captain Nelson ist mit seinem schlaksigen Kopiloten schon auf dem Flugplatz. Er will dabeisein, wenn der Motor repariert wird. Rodrigo Sola telefoniert immer wieder einmal mit ihm. Unsere Koffer stehen gepackt in der Hotelhalle, und wenn Neco sagt, daß wir kommen sollen, sind wir in einer halben Stunde draußen.
    Ich habe heute morgen noch Ansichtskarten und Briefe geschrieben, die Rodrigo gleich besorgt hat.
    Jetzt bummeln wir durch die Stadt, schauen uns um und machen Fotos. Ich muß mir wieder die große Sonnenbrille aufsetzen. Rodrigo besteht darauf.
    Moderne Hochhäuser neben alten Gebäuden. Breite Straßen mit vielen Menschen und Autos, Straßenbahnen, gelben Omnibussen. Die Taxis sind meistens alt und haben weißschwarze Dreiecke aufgemalt. Wie Haifischzähne.
    Die Schuhputzer halten für ihre Kunden oft regelrechte Polstersessel bereit. Aus rotem Samt und mit goldenem Messing beschlagen. Sie stehen im Schatten der Häuser oder Bäume. Wenn sie nicht besetzt sind, sehen sie aus wie Thronsessel, die leerstehen, weil der König gerade Urlaub macht.
    Die Zeitungsjungen heißen Papeleros. Sie springen in voller Fahrt auf die Straßenbahnen, hängen an den Trittbrettern und türmen mitten im Verkehr zwischen den fahrenden Autos hindurch. Dabei brüllen sie die neueste Schlagzeile durch die Gegend.
    Vor der alten Kathedrale tanzen Indianer. Sie haben gelbe Lendenschurze , riesige Federn auf dem Kopf und Ketten mit
    Glocken um die Fußgelenke. Ein kleiner Indianerjunge bricht plötzlich wie tot zusammen. Jetzt wird das Trommeln und Schlagen von Rumbakugeln immer lauter und wilder. Ein Medizinmann tritt auf und verjagt die bösen Geister. Das ist so spannend, daß ich beinahe das Fotografieren vergesse.
    „Ich hätte auch meine Apparate mitnehmen sollen“, japst der dicke Alain.
    Als wir zum Flugplatz fahren, sind die Straßen von einer Stunde zur anderen wie leergefegt.
    „Corrida“, grinst der Taxifahrer und spuckt durchs Fenster.
    „Stierkampf“, übersetzt Rodrigo.
    In den Warteräumen des supermodernen Flughafens sind überall Fernsehgeräte aufgebaut. Auf ihnen sehen wir noch etwas von diesem Stierkampf, während wir durch den Zoll und die Paßkontrolle gehen. Allerdings bricht das Bild immer ab, wenn es gerade interessant wird. Der Torero schwenkt sein rotes Tuch zur Seite, der Stier kommt angefegt, und man hält den Atem an. Was passiert jetzt? Da blendet plötzlich die Reklame für eine Rasierklinge ein oder für ein Waschmittel.
    Inzwischen schon wieder eine gute Stunde in der Luft. Keine Wolke am Himmel. Der äußere rechte Motor arbeitet jetzt fleißig wie eine Biene.

    Acapulco, 2. Januar
    Bisher kannte ich ihn nur von Kreuzworträtseln her: Vulkan in der Sierra Nevada von Mexiko. Die Antwort mußte heißen: Popocatepetl. Vor einer Viertelstunde haben wir ihn überflogen. Er war mit Schnee

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