Der blinde Passagier
vom Maximilianeum.
Der Indianerjunge taucht mit ausgebreiteten Armen und gestrecktem Körper in die weiße Brandung. Der Applaus prasselt von den Terrassen. Licht flammt auf. Die Musik spielt wieder.
Als wir eine Stunde später zum Taxi gehen, steht der Indianer] unge Melito aus dem Stamm der Mayas in seiner schneeweißen Badehose am Ausgang und hält die Hand auf. Seine großen, schwarzen Mandelaugen gucken ein wenig traurig auf die vielen reichen Touristen.
Im Flugzeug, 3. Januar
Als wir gestern nacht ins Hotel zurückkommen, begleiten mich alle bis zu meinem Zimmer. Ich denke mir nichts dabei. Bis ich die Tür aufschließe und das Licht anknipse.
Auf dem Tisch mitten im Zimmer steht ein nagelneuer Käfig, und in dem Käfig sitzt ein Papagei. Er schlägt mit den Flügeln, hüpft umher und plappert aufgeregt. Wir haben ihn aufgeweckt. Der Papagei hat einen blauen Rücken und einen roten Kopf. Seine Brust ist gelb und weiß. Um den Schnabel hat er so viele Falten, als sei er schon fünfhundert Jahre alt.
„For you“, grinst Captain Neco und lehnt sich seiner ganzen Länge nach an den Türrahmen. Die anderen sind mitgekommen, weil sie sehen wollen, ob ich mich freue und was ich sage.
„Es passiert öfters, daß so ein Vogel den Flug nicht übersteht“, sagt Rodrigo. „Und weil dir unser Captain eine Freude machen will, hat er den schönsten Papagei ausgesucht und bei den Abholern am Flugplatz bedauert, daß leider eines von den Tieren gestorben sei. Sie haben sich gefreut wie die Schneekönige, weil alle anderen noch lebten und so vergnügt in ihren Käfigkisten herumsprangen.“
„Er frißt Obst, Blüten und fast alle Sorten Nüsse“, läßt der Flugkapitän noch erklären. „Honig mag er am liebsten. Salzsäure oder essigsaure Tonerde bekommen ihm weniger.“ Jetzt steht der Käfig vor mir im Flugzeug. Der Papagei hat seinen roten Kopf mit den Flügeln zugedeckt wie mit einer Bettdecke und schläft. Er heißt übrigens seit heute morgen „Neco“. Captain Nelson ist damit einverstanden. Ich glaube sogar, daß er sich darüber freut. Vor dem Start hat er selbst die laufe vorgenommen. „Ab jetzt heißt du genauso wie einer der besten Flugkapitäne der Welt“, sagte er dabei und holte als Patengeschenk ein ganzes Glas Honig aus der Tasche.
Es ist schon Abend. Unter uns der Pazifische Ozean. Aber wir sehen ihn nicht. Wir haben seit etwa zehn Minuten viele Wolken.
Beim heutigen Rennen hatte Mister Goldwater mit seinen Pferden unverschämtes Glück. Ich stehe beim ersten Start neben ihm. Er ist wieder aufgeregt wie eine Affenherde, wenn ein Tiger durch den Wald spaziert.
„Ruhig Blut“, sage ich wie ein steinalter Medizinalrat, „Sie gewinnen dieses Rennen. Dafür wette ich meine Zahnbürste.“
Zuerst läuft „Othello“, und er geht tatsächlich als Erster durchs Ziel. Eine braune Stute namens „Kleopatra“ gewinnt das zweite Rennen. Jetzt läßt mich Mister Goldwater nicht mehr von der Seite. Er behauptet, daß ich ihm Glück bringe, und tanzt von einem Bein aufs andere. „Michelangelo“ heißt ein ziemlich großer Apfelschimmel, der auf den dritten Platz kommt. Goldwaters Pferde haben alle sehr berühmte Namen.
„Ein Wunder“, trompetet Mister Picadilly, „ Michelangelo’ hatte vor acht Tagen noch den Husten.“ Und Pferdehusten ist eine ernste Sache.
„Hamlet“ holte das letzte und wichtigste Rennen mit zwei Längen Vorsprung. Mister Goldwater durfte auf die Tribüne klettern und bekam einen kitschigen, aber riesengroßen Pokal überreicht. Dabei wurde er von allen Seiten fotografiert, und die Leute klatschten in die Hände.
Die Wolken werden dichter. Und das ist immer wieder aufregend: Der Pilot sitzt in seinem Cockpit, fliegt mit mehr als sechshundert Kilometern in der Stunde und sieht nichts als weißen Dampf vor sich. Auch vor meinem Fenster ist nur noch ein kleiner Teil der Tragfläche zu sehen, eigentlich nur der erste Motor. Manchmal blitzen Lichter über das Metall. Sonst nur Nebel. Waschküche. Dampfbad.
Natürlich haben wir auch wieder fotografiert. Am Strand, auf den Felsen und vor den schneeweißen mexikanischen Häusern am Hafen. Der dicke Alain schwitzte hinter seinen Kameras, und ich strahlte mit der knallroten Limonade im Glas mein BABALU-Lächeln.
Nach dem Rennen, während die Pferde wieder zum Flugplatz gebracht werden, schreibe ich Briefe und Ansichtskarten.
Die Dakota geht langsam tiefer. Wir haben den längsten Flug hinter uns. Volle fünf Stunden.
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