Der blinde Passagier
bedeckt.
Man sollte zum Geographieunterricht die Schulklassen in Flugzeuge packen. Wir würden bestimmt viel bessere Klassenarbeiten schreiben.
Mister Goldwater erwartet uns am Flugplatz. Er trägt eine nagelneue Melone auf dem Kopf und hat drei riesige Lastwagen mitgebracht. Die Pferde sollen so schnell wie möglich in ihre Ställe, damit sie sich von der Luftreise erholen und morgen zum Rennen fit sind.
Acapulco liegt direkt am Pazifischen Ozean. Gebirge ringsum. Vor zwanzig Jahren soll es noch ein stilles Fischerdorf gewesen sein. Heute ist es das mexikanische Travemünde. Ein sehr eleganter Badeort. Riesige Hotelkästen. Weißer Sandstrand. Eine Hitze wie in Rio. Aber die Luft ist nicht so feucht. Überall Blumen und tropische Pflanzen, die ich noch nie gesehen habe.
Wieder in einem Hilton-Hotel. Diese Hilton-Hotels gibt es anscheinend auf der ganzen Welt. So wie Coca-Cola oder amerikanische Filme.
Unsere Zimmer sind wieder reserviert, und für Rodrigo Sola liegen auch zwei Telegramme beim Portier. Acapulco gehört also zum Programm von Senhor Tavares und seiner Agentur.
Ich habe wieder einen Balkon. Genau über dem Strand. Das Blau des Pazifiks ist viel dunkler als der beinahe weiße Himmel. Boote mit Segeln, die in allen möglichen Farben gestreift sind, hegen am Strand oder kreuzen auf dem Meer. Viele Menschen. Sie liegen in der Sonne oder unter viereckigen Dächern aus Palmblättern, die wie Negerhütten in langen Reihen nebeneinander stehen.
Baden. Ausschlafen.
Rodrigo hat wieder sein Zimmer neben mir. Als er an die Verbindungstür klopft, ist es vor dem Fenster schon dunkel.
Die anderen warten bereits in der Halle. Ich brauche genau zwei Minuten zum Anziehen.
Vor dem Hotel ein altes Lincoln-Kabriolett. Der Chauffeur spuckt auf seine Schuhe, zieht ein Taschentuch aus der Brusttasche, wischt den Schuh damit ab und fragt: „Ein Taxi, Senhores?“
„Was ich euch jetzt zeige“, sagt Captain Nelson beim Einsteigen, „gibt es in der ganzen Welt nur einmal.“ Er klemmt sich zusammen mit seinem Kopiloten Ivan neben den Fahrer. Ich sitze hinten zwischen Alain und Rodrigo.
Die Fahrt geht zum Gebirge und ans Meer. Siebzig Meter hohe Felsen stürzen senkrecht in den Pazifik. An der Stelle, wo wir aussteigen, hat die Brandung die Steine ausgehöhlt. Etwa fünfzehn Meter breit. Wie ein Stück Straße. Dahinter wieder Felsen. Und in diese Felsen ist das Restaurant „La Perla“ hineingebaut. Seine Terrassen und Galerien hängen übereinander wie Balkone in einem riesigen Theater. Mit Blick auf das Stück Straße, in dem sich die Brandung bricht. Dahinter das Meer.
Tische, an denen gegessen wird. Leise Musik aus Lautsprechern. Man tanzt. Viele amerikanische Touristen. Die Terrassen sind überfüllt.
Gerade als der rothaarige Alain das letzte Stück von seinem Steak abschneidet, flammt ein Scheinwerfer auf. Er trifft die höchste Spitze des Felsens über der schmalen Straße mit der Brandung.
Eine Stimme aus dem Lautsprecher begrüßt die Gäste in verschiedenen Sprachen. Zum Schluß: „Und jetzt haben Sie das Glück, eine der wirklichen Weltsensationen zu sehen, die Divers.“
Drüben auf dem Felsen tritt ein schlanker Bursche ins Licht des Scheinwerfers. Er trägt nur eine weiße Badehose, hat schwarzes, glänzendes Haar und hellbraune Haut. Etwas über zwanzig Jahre alt.
Der Lautsprecher gibt bekannt, daß der Diver „Melito“ heißt. Melito sei ein waschechter Indianerjunge, ein Maya. Und die Mayas seien einer der ältesten Indianerstämme.
Der Diver Melito steht auf der Spitze des Felsens. Er grüßt mit erhobener Hand.
Die Musik bricht ab.
Jetzt geht der junge Indianer zu einer Nische mit vielen kleinen und bunten Lichtern. Er kniet nieder. Betet. Bekreuzigt sich.
Dann steigt er wieder auf die höchste Stelle des Felsens. Er lockert seine Muskeln wie vor dem Start zu einem Hundertmeterlauf. Ein paar Kniebeugen. Noch einmal der Gruß mit der erhobenen Hand.
Alle Lichter gehen aus. Auch der Scheinwerfer. Trommeln wirbeln. Unten flammen bengalische Feuer auf. Sie beleuchten die schmale Straße zwischen den Felsen und die Brandung, die vom Meer hereinschlägt.
Der Diver Melito breitet seine Arme aus und springt. Er muß weit hinausfliegen, damit er nicht gegen den siebzig Meter hohen Felsen schlägt, und er muß das Wasser treffen, das nur etwa zehn Meter breit ist.
Ich denke ganz kurz an unseren Zehnmetersprung in der Schwimmhalle am Hansaplatz und an unseren Wettkampf mit der Untertertia
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