Der blinde Passagier
Jetzt bricht die Maschine durch die letzte Wolkenschicht. Deutlich sind im Meer große dunkle Inseln zu erkennen. Einzelne Lichter.
Captain Nelson dreht sich um und winkt mich zu sich ins Cockpit.
„Die ganze Inselgruppe heißt Hawaii“, sagt er, als ich mich hinter den Pilotensitz klemme, „und die längliche Insel, auf die wir jetzt zufliegen, das ist Oahu.“
Es rumpelt unter der Maschine wie auf einer Kegelbahn. Kopilot Ivan läßt das Fahrgestell ausfahren.
„Und die vielen Lichter, die jetzt immer näher kommen, das ist Honolulu“, meint Captain Nelson. „Die Hauptstadt von Oahu. Und jetzt mußt du dich anschnallen.“
Ich gehe wieder auf meinen Platz.
Wie ein weißer Strich liegt der Strand zwischen der Insel und dem Meer. Dann die Häuser. Man kann schon einzelne Leuchtreklamen lesen.
Warten auf der Rollbahn. Zwei Maschinen starten gerade. Das gibt noch ein paar Minuten Zeit für meine Notizen.
Honolulu, 3. Januar nachts
Royal Hawaiian Hotel, Zimmer 492.
Vor fünf Minuten hat Rodrigo noch einmal seinen Kopf durch die Tür gesteckt und „Gute Nacht“ gewünscht. Ich bin hundemüde und liege schon im Bett. Aber ich will noch ganz schnell aufschreiben, was nach der Landung passiert ist.
Während wir die Gangway herunterklettern, warten schon dunkelbraune Mädchen in Baströckchen. Sie hängen jedem von uns einen Lei um. Das ist ein Kranz aus roten, gelben und weißen Blüten. Anschließend gibt es zur Begrüßung noch ein Glas Ananassaft. In Oahu gibt es nämlich Ananas wie bei uns Kartoffeln oder Mohrrüben.
Obgleich es doch ziemlich spät ist, geht ;s auf dem Flugplatz zu wie auf einem Bahnhof, wenn die Schulferien anfangen. Kurz vor uns sind zwei Maschinen aus Amerika gelandet, und eine dritte ist im Anflug.
Die Touristen stellen sich mit ihren Leis zu Gruppen zusammen und lassen sich fotografieren. Hoteldiener in bunten Uniformen trommeln ihre Gäste zusammen wie Hammelherden. Aus den Lautsprechern tönt Hawaii-Musik.
Mister Goldwater hat natürlich wieder seine Pferde erwartet. Er nimmt uns in seiner schwarzen Limousine mit in die Stadt.
Vor allen Restaurants und Hotels brennen offene Feuer wie Fackeln.
„Die Tiki-Torches“, erklärt Captain Nelson, „zu Ehren des polynesischen Gottes Tiki. Er bringt Glück, und die Insel ist ihm geweiht.“
Auch vor dem Royal Hawaiian und überall am Strand brennen die Tiki-Torches. Und von überall her ist Hawaii-Musik zu hören. Ganz leise und weich.
Unsere Zimmer sind reserviert, und auf Rodrigo wartet wieder ein Telegramm. Das wäre geheimnisvoll wie in einem Kriminalfilm, wenn wir nicht wüßten, wer der große Unbekannte ist. Er sitzt in Rio hinter seinem Schreibtisch, eine Wolke Parfüm um sich herum und zwei wertvolle Ringe an den Fingern.
Mister Goldwater wohnt auch im Royal Hawaiian. Man behandelt ihn wie den Schah von Persien. Der Hoteldirektor kommt persönlich angetanzt. Die Zimmer seien bereit, sagt er. Als ob Mister Goldwater das ganze Hotel gemietet hätte.
Neco, nicht der Flugkapitän, sondern der Papagei, hat zum Abendessen einen halben Apfel bekommen, Nüsse und ein paar Blüten aus meinem Lei. Jetzt hat er seinen Kopf wieder mit den blauen Flügeln zugedeckt und schläft. Manchmal knurrt er und rollt sich zusammen. Ich glaube, er träumt.
Das Mädchen mit dem Pferdeschwanz
Es sah zuerst so aus, als sei es ein Tag wie jeder andere. Die Sonne schien wieder, und man frühstückte vor dem Hotel unter einem der riesigen Banyanbäume. Herr Rodrigo Sola wurde von einem polynesischen Boy zum Telefon gerufen, und Mister Picadilly entschuldigte sich, weil er zu seinen Pferden mußte. „See you later“, grüßte er noch und setzte sich einen weißen Strohhut auf den Kopf.
„A bientôt“, rief ihm der dicke Alain hinterher und stippte mit einem Stück Brot das letzte Fett von seinem Teller. Er hatte gerade gebratenen Schinken und Spiegeleier verspeist.
Captain Nelson hatte sich noch nicht blicken lassen, und sein Kopilot Ivan schien auch noch zu schlafen.
Mister Goldwater lag bereits unter einem Sonnenschirm am Strand. Er las in der neuesten daily mail und rief vergnügt: „Good morning, Senhores“, als Peter Schimmelpfennig mit Alain und Rodrigo durch den Sand gestapft kam.
„Du mußt morgen beim Rennen wieder dabeisein“, lachte der Amerikaner. Er steckte in einem farbigen Aloha-Hemd mit großem Blumenmuster, und dazu hatte er seine neue schwarze Melone auf dem Kopf. „Du bringst mir Glück!“
„Ist gemacht,
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