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Der blinde Passagier

Der blinde Passagier

Titel: Der blinde Passagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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passieren.“ Er hält sein leeres Whiskyglas in die Höhe. „Aber mit dieser lahmen Krähe fliege ich nicht bis Acapulco.“
    Mister Picadilly stapft wie ein Storch zum Cockpit und zum Eisschrank. „Sie gestatten, daß ich mich auch bediene?“ fragt er noch und geht kurz darauf den gleichen Weg mit zwei vollen Whiskygläsern vorsichtig wieder zurück.
    Ich habe mein Gesicht dicht am Fenster. Die Luftschraube des äußeren Motors steht beinahe senkrecht und ohne Bewegung. Man sieht es ganz deutlich. Der Mond scheint hell genug. Die Maschine hängt leicht nach links.
    „Endlich passiert mal etwas“, grinst Picadilly und behauptet, einen Witz zu kennen, der gerade jetzt sehr komisch sei. Er fängt auch gleich zu erzählen an. „Also, auch ein Flugzeug. Beide Tragflächen brennen wie Zunder. Da kommt der Pilot aus seiner Kabine. Er hat einen Fallschirm umgeschnallt und sagt zu den Passagieren: ,Kein Grund zur Aufregung. Ich hole schnell Hilfe.’“ Mister Picadilly schüttelt sich wieder einmal aus vor Lachen. Aber er lacht allein.
    Hab’ nun doch ziemlich weiche Knie. Ob es gutgeht?
    Länger als eine halbe Stunde wird kein Wort mehr gesprochen. Nur gelegentlich ist zu hören, wie Captain Nelson seiner alten Dakota gut zuredet. „Los, Baby, du schaffst es.“ Und die Dakota pflügt artig durch die Nacht. Wie eine Ente, die an einem Flügel lahmgeschossen ist. Im Cockpit steht Kopilot Ivan mit den Bodenstationen in Verbindung.
    Ich muß an Frau Schimmelpfennig und die Großmutter denken. Das darf ich ihnen gar nicht erzählen. Auch wenn alles längst überstanden ist, würde ihnen noch das Herz stehenbleiben.
    Damit ich nicht immer durch das Fenster auf den senkrecht stehenden Propeller gucke, hole ich mein Tagebuch aus der Segeltuchtasche und fange an zu schreiben.
    Die Papageien sitzen wieder ganz still in ihren Käfigkisten.
    Captain Nelson ist die Ruhe selbst. Er nimmt ab und zu einen Schluck aus dem Whiskyglas. Sein Glück, daß es in der Luft keine Funkstreife gibt!
    „All the best for the New Year“, sagt plötzlich Picadilly in die Stille und streckt seine langen Beine aus. Wir sehen alle auf unsere Uhren. Es stimmt. Das neue Jahr hat gerade angefangen. Es ist haargenau vierundzwanzig Uhr und eine Minute. Wir wünschen uns gegenseitig alles Gute.
    „Das Fest findet statt, wenn wir gelandet sind“, gibt Neco schließlich bekannt.
    Ich sehe an der Tragfläche vorbei tief unten die ersten Lichter.
    Fünf Minuten später hängen wir direkt über der Stadt.

    Mexico City, 1. Januar
    Es ist kurz vor drei Uhr morgens. So spät bin ich noch nie ins Bett gegangen. Ich sitze mit meiner zitronengelben Schlafanzughose im Hotelzimmer. Will noch schnell aufschreiben, was inzwischen los war:
    Nach der Landung stellt sich heraus, daß der Motor erst morgen in Ordnung gebracht werden kann. Die Pferde kommen in eine Halle. Die Papageien bleiben im Flugzeug.
    Rodrigo besorgt einen Wagen, und wir fahren alle zusammen in die Stadt. Das Taxi ist ganz bunt angemalt und ein alter Kasten, der eigentlich auf den Schrottplatz gehört. Der dicke Mexikaner, der hinter dem Steuer sitzt, fährt wie ein Verrückter.
    Central Hilton Hotel, Zimmer 617. Vornehmer geht’s gar nicht mehr. Ein Riesengebäude mit Teppichen, so dick und weich wie Sofakissen.
    „Senhor Tavares bezahlt“, grinst der Brasilianer Rodrigo Sola wieder einmal.
    Die Straßen sind voll mit Menschen und Autos. Alles ruft und singt durcheinander. Musik an jeder Ecke. Man tanzt. Die Autos hupen und ziehen ganze Bündel bunter Luftballons hinter sich her. Silvester.
    Neco weiß in Mexico City Bescheid. Nach rund dreißig Jahren Fliegerei kennt er vermutlich die ganze Welt.
    Wir sind nur fünf Minuten auf unseren Zimmern. Kurz die Nase unter das Wasser, Dann treffen wir uns wieder in der Halle.
    Und jetzt lotst uns Captain Nelson zur Plaza Garibaldi. Tausende von Menschen. Man tanzt und lacht und singt. Gauchos unter riesigen Sombreros in allen Farben machen Musik. Mit Gitarren. Geigen und Trompeten, Sie tragen alte mexikanische Trachten mit kostbaren Stickereien und viel Schmuck aus Gold oder Silber. Sie haben braungebrannte Indianergesichter. Sporen an ihren blankgeputzten Stiefeln und um den Hals große Schleifen aus bunter Seide.
    „Die Mariachis“. erklärt Captain Nelson, „und die bunten Tücher, die sie umgehängt haben, heißen Sarapas.“
    „Entschuldigen Sie, Herr Flugkapitän“, sage ich. Aber Captain Nelson unterbricht mich.
    „Für dich heiße ich

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