Der blinde Passagier
Pelzjacke über die Schultern. Dabei flüsterte sie ihr etwas ins Ohr, und die weißhaarige Dame sagte zufrieden: „Sehr schön, mein Kind.“
Jack mit der Boxernase blinzelte mit seinen lustigen Augen und öffnete dabei einen Briefumschlag. „Das lag für Sie im Hotel, Mister Goldwater.“ Der Amerikaner nahm den zusammengefalteten Brief. Er lehnte sich beim Lesen etwas zurück, damit ihm niemand über die Schulter sehen konnte. „Alles in Ordnung“, stand auf dem Papier, und zwar in Jacks Handschrift. Mister Goldwater machte ein möglichst bedeutungsvolles Gesicht und sagte: „Chemie zieht an, und Stahl fällt. Immer dieser Ärger mit der Börse.“ Dabei faltete er den Brief wieder zusammen und steckte ihn in seine Tasche.
Eine halbe Stunde später fuhren alle mit ihren Blütenkränzen um den Hals zum Flugplatz. Mister Goldwater hatte noch eine Taxe kommen lassen. Zuerst wurde das Flugzeug nach Mexico City aufgerufen. Der rothaarige Alain verabschiedete sich und ging zur Paßkontrolle.
Mister Goldwater und Manuelas Mutter standen mit Herrn Rodrigo Sola zusammen. „Ich will ja nicht neugierig sein“, sagte der Amerikaner gerade, „aber eigentlich habe ich nicht die geringste Ahnung, weshalb Sie mit diesem Jungen durch die Welt fliegen.“
„Ehrlich gesagt, das würde mich auch interessieren“, lächelte Manuelas Mutter übertrieben freundlich.
Peter Schimmelpfennig unterhielt sich mit Flugkapitän Nelson, seinem Kopiloten und dem hellblonden Pferdeschwanz. Der Chauffeur Jack trug den Käfig mit dem Papagei und eine weiße Tragetüte aus Papier.
Als schließlich die Maschine nach Tokio aufgerufen wurde, marschierten alle gemeinsam zum entsprechenden Schalter. Beim allgemeinen Händeschütteln stand plötzlich das Mädchen Manuela ganz dicht vor Peter Schimmelpfennig und drückte ihm die weiße Tragetüte unter den Arm. „Da ist ein kleines Paket drin. Du darfst es nicht aus den Augen lassen und erst in Tokio aufmachen. Es ist äußerst wichtig.“ Sie guckte sich um, ob auch niemand zuhörte. Aber Jack mit der Boxernase stand hinter ihr. Er blinkerte mit seinen lustigen Augen und verdeckte Rodrigo die Aussicht. „Diesen Brief mußt du möglichst bald lesen, wenn du im Flugzeug bist. Aber so, daß dieser Herr Sola nicht mitlesen kann.“ Anschließend lächelte das Mädchen mit dem Pferdeschwanz und gab Peter Schimmelpfennig einen Kuß dicht neben das linke Ohr.
Das Flugfeld war von Scheinwerfern angestrahlt, und auf beiden Seiten der Rollbahn brannten viele gelbe und rote Lichter. Die Passagiere wurden zu ihrer Maschine gebracht.
„Es war höchste Zeit, daß wir abfliegen“, meinte Sola. „Sie fingen gerade an, mich mit ihren Fragen ins Schwitzen zu bringen.“
Auf der Gangway drehte sich Peter Schimmelpfennig noch einmal um. Die Gruppe um Mister Goldwater stand auf einer Terrasse des Flugplatzgebäudes und winkte. Das weiße Haar von Manuelas Mutter war zu erkennen, der breite Neco, der dünne Picadilly, der baumlange Ivan, der Pferdeschwanz und die Melone Goldwaters.
Peter Schimmelpfennig und Rodrigo Sola winkten zurück.
In der ersten Klasse flog nur noch ein Japaner mit ihnen und ein Inder mit seiner Frau. Sie trug einen Sari aus gelber Seide und hatte viele Goldringe an den Handgelenken, Perlen in den Ohren und einen kleinen blauen Edelstein im linken Nasenflügel.
Honolulu mit seinen Lichtern wurde immer kleiner. Der Clipper stieg steil in den Himmel.
„Jetzt kann Gott sei Dank nichts mehr passieren“, sagte Rodrigo und streckte wieder einmal seine langen Beine aus.
Der Käfig mit dem Papagei stand neben dem Notausgang, und die weiße Tragetüte hatte Peter Schimmelpfennig unter seinen Sitz geschoben.
Eine japanische Stewardeß fragte, ob man noch irgendwelche Wünsche hätte. Sie trug einen schneeweißen Kimono und verteilte für die Nacht leichte Wolldecken. Ein wenig später knipste sie das Licht aus.
„Gute Nacht“, sagte Herr Rodrigo Sola und legte sich auf die Seite.
„Ebenfalls gute Nacht“, antwortete Peter Schimmelpfennig und tat so, als ob er einschliefe. In Wirklichkeit wartete er aber nur, bis sich der junge Brasilianer nicht mehr rührte. Dann holte er vorsichtig Manuelas Brief aus der Tasche. Er öffnete ihn leise und knipste die kleine Leselampe an.
„Lieber Peter Schimmelpfennig“, schrieb der hellblonde Pferdeschwanz, „bestimmt hast Du Dir gar nichts dabei gedacht, als ich vorhin mit Jack ins Hotel gefahren bin. Das mit der Pelzjacke für meine Mutter
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