Der blinde Passagier
will es versuchen“, korrigierte Direktor Suzuki höflich.
„Wenn ich mir eine Frage erlauben darf“, meinte Herr Sola aus Rio, „wie kommt es, daß Sie sie ausgezeichnet Deutsch sprechen?“
„Ich habe vier Jahre in Heidelberg studiert“, antwortete der Warenhausdirektor und schlug seine Beine übereinander. „Das war eine sehr schöne Zeit.“ Er träumte eine Minute vor sich hin, und dann nickte er zu seinem Reklamechef hinüber. „Bitte, sprechen Sie weiter, Herr Matsumoto.“
„Wir uns freuen sehr kolossal, zu haben bei uns das blinde Passagier“, sagte jetzt der Herr mit der silbergrauen Weste.
Peter Schimmelpfennig saß in einem Sessel, die Segeltuchtasche auf den Knien, und war mit seinen Gedanken weit weg. Der Reklamechef sprach für ihn sozusagen aus dem Nebenzimmer. Er hörte ihn nur wie durch eine Wand, die mit Watte gepolstert war. In Wirklichkeit sah er immer nur das gleiche Bild vor sich: seine Briefe und Ansichtskarten zwischen den Hemden und dem Anzug im Koffer von Herrn Rodrigo Sola. Er hat das Blaue vom Himmel heruntergelogen, mußte Peter Schimmelpfennig dabei immer wieder denken. Er hat das Blaue vom Himmel heruntergelogen, dieser Schuft!
Peter Schimmelpfennig wachte aus seinen Gedanken erst wieder auf, als der Reklamechef ein Dutzend Zeitungen auf den Schreibtisch blätterte. Alle zeigten auf der ersten Seite große Fotos von dem „blinden Passagier“. „Das ist die Presse von gestern abend und heute morgen“, erklärte Herr Matsumoto dazu.
„Allein die drei größten Zeitungen von Tokio, die ASAHI, die MAINICHI und die YOMIURI “, sagte jetzt Direktor Suzuki, „haben zusammen eine tägliche Auflage von rund acht Millionen.“ Er stand auf, wanderte durch sein Büro und blieb vor Peter Schimmelpfennig stehen. „Alle diese Zeitungen haben immer wieder über dich berichtet und deine Geschichte erzählt. Millionen japanische Leser kennen dich inzwischen, wissen durch die Fotos, wie du aussiehst. Und seitdem du in Rio verschwunden bist und nur noch dein Wintermantel von dir übrigblieb, warten diese Millionen auf neue Nachrichten.“ Der Warenhausdirektor ging nachdenklich zu seinem Schreibtisch zurück. „Diese Nachrichten verbreitet unsere Reklameabteilung nun seit gestern abend, und sämtliche Zeitungen bringen sie auf der ersten Seite. Hier zum Beispiel die Schlagzeile in der yomiuri: ‚Der blinde Passagier in Tokio.’ Alle anderen Zeitungen haben ähnliche Überschriften. Und in den Artikeln heißt es, daß du inzwischen um die halbe Welt geflogen bist und daß man mit Spannung darauf wartet, von dir Einzelheiten zu erfahren.“
„Ganz ausgezeichnet“, bemerkte Rodrigo und zündete sich eine Zigarette an.
Im gleichen Augenblick krächzte der Papagei Neco und schlug ein paarmal mit seinen Flügeln durch die Luft. Der Japaner Watanabe, der wie ein Ringkämpfer aussah, bewachte ihn immer noch.
„Ich glaube, er hat Durst“, meinte Peter Schimmelpfennig. „Aber vielleicht bekommt ihm auch die Luftveränderung nicht.“
„Das werden wir gleich wissen“, lächelte Direktor Suzuki und drückte auf den Knopf an seinem Sprechgerät. „Doktor Yamada soll zu mir kommen.“
Inzwischen hatte der Reklamechef mit der silbergrauen Weste ein paar Zeitungen in der Mitte auseinandergefaltet. Alle brachten eine riesige farbige Annonce, die über zwei Seiten ging. Mitten zwischen den großen japanischen Schriftzeichen war auch hier ein Foto von Peter Schimmelpfennig abgedruckt.
„Damit kommen wir zu dem berühmten springenden Punkt der ganzen Sache“, bemerkte Direktor Suzuki und lächelte wieder. „Diese Anzeige erscheint seit gestern in sämtlichen Zeitungen. Und sie gibt bekannt, daß der seit Tagen verschwundene ,blinde Passagier’ heute nachmittag pünktlich um drei Uhr erneut in Erscheinung tritt. Es heißt hier wörtlich“, der Warenhausdirektor nahm eine Zeitung in die Hand und übersetzte den Text der Anzeige: „Er wird mit einem Hubschrauber auf dem Dach des Warenhauses DAIMARU landen und anschließend im fünfzehnten Stockwerk für die hochverehrten Kunden unseres Hauses Autogramme geben.“ Direktor Suzuki klappte die Zeitung wieder zusammen. „Wir erwarten einen Ansturm wie bei einer Fußballweltmeisterschaft, vor allem von Kindern. Und natürlich kommen auch sämtliche Fernsehgesellschaften.“
In diesem Augenblick leuchtete neben der Tür eine kleine Lampe auf. Der Warenhausdirektor drückte wieder auf irgendeinen Knopf. Es summte ganz leise, und gleich
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