Der blinde Passagier
war aber nur eine Ausrede. In Wirklichkeit sollte der Chauffeur Jack nämlich in aller Ruhe die Koffer von diesem Fotografen Alain aufmachen und sämtliche Filme an sich nehmen. Nur deshalb hatte Mister Goldwater das Abendessen veranstaltet, damit die Koffer im Gepäckraum seiner Limousine lagen. Alle Filme, die wir gefunden haben, sind jetzt in der weißen Papiertragetüte in einem kleinen Paket, das ich schon so verpackt habe, daß Du es gleich zur Post geben kannst. Das Ganze war die Idee von Mister Goldwater. Eine ganz prima Idee, finde ich. Jetzt kann Dich dieser Senhor Tavares nämlich nicht mehr aufs Kreuz legen. Du sollst die Filme von Tokio aus ganz schnell zum abendblatt nach Hamburg schicken. Und Mister Goldwater telegrafiert nach Rio. daß die Agentur und die BABALU-Leute von dort die Filme zurückbekommen, sobald sie Dir Deinen Anteil bezahlen. Du mußt jetzt nur ungeheuer aufpassen. damit dieser Rodrigo nichts merkt. (Er gefällt mir übrigens nicht, und auch Mister Goldwater meint, daß Du mit ihm vorsichtig sein sollst!) Wenn Du kannst, schreibe, wie alles weitergeht. Wir sind noch etwa zehn Tage in Honolulu. Ich halte Dir die Daumen. Wenn Du diesen Brief gelesen hast, zerreißt Du ihr. am besten in lauter kleine Stücke und ißt ihn auf. Leider kannst Du ihn im Flugzeug ja nicht aus dem Fenster werfen; ich habe deshalb ganz dünnes Papier genommen. Meine Telefonnummer in Hamburg ist übrigens 76 66 11. Manuela.
PS: Mister Goldwater legt Dir noch einen Fünfzig-Dollar-Schein bei. Für alle Fälle.“
Peter Schimmelpfennig las den Brief noch ein zweites Mal. Dann steckte er die Fünfzig-Dollar-Note in seine Hemdtasche und notierte sich die Telefonnummer in sein Tagebuch. Anschließend knipste er die Leselampe wieder aus, holte das kleine Paket aus der Tragetüte und packte es vorsichtig und ganz unten in seine Segeltuchtasche. Jetzt mußte er nur noch den Brief zerreißen und aufessen. Zum Glück hatte der Pferdeschwanz wirklich ganz dünnes Papier benützt.
Der Knabe Rodrigo schlief wie im siebten Himmel und schnarchte dabei ganz leise vor sich hin.
Und irgendwo hing jetzt auch der dicke Alain in der Luft. Er flog mit einer Stundengeschwindigkeit von rund achthundert Kilometern auf Rio de Janeiro zu. Auch er lag in seinem Sessel, döste vor sich hin und war rundherum zufrieden. Er wußte ja noch nicht, daß die Filme, die er für die BABALU-Leute verknipst hatte, nicht mehr in seinem Koffer lagen.
Die Sache mit dem hundertachtzigsten
Längengrad
Das ganze Flugzeug frühstückte.
Peter Schimmelpfennig löffelte sich gerade Aprikosenmarmelade aufs Brot, und der junge Brasilianer Rodrigo köpfte ein hartgekochtes Ei, als die leise Musik in den Bordlautsprechern abgeschaltet wurde.
„Ladies and gentlemen, hier spricht der Flugkapitän“, sagte eine tiefe Stimme. „Wir überfliegen soeben den Fudschijama.“ Peter Schimmelpfennig blickte aus seinem Fenster. Die Sonne war gerade aufgegangen, und der Himmel über dem Clipper war ganz blau. Aber ein paar hundert Meter tiefer lagen dicke Wolken, die alles zudeckten. Von Japans heiligem Berg war also leider nichts zu sehen.
Knappe zwanzig Minuten später landete die Maschine in Tokio. Es regnete und war ziemlich kalt.
„Ich hätte meinen Wintermantel doch nicht in Rio liegenlassen sollen“, sagte Peter Schimmelpfennig so harmlos wie möglich.
„Ja. es sieht so aus, als seien wir falsch angezogen“, meinte Herr Sola genauso harmlos und schlug seinen Jackettkragen hoch.
Düsenflugzeuge aus allen Ländern der Welt lagen nebeneinander, rollten zum Start oder landeten gerade. Auf dem modernen Flugplatzgebäude mit seinen Glasfassaden wehte die weiße Fahne mit der roten Sonne.
Peter Schimmelpfennig wurde mit seiner Segeltuchtasche und seinem Papageienkäfig von den Zollbeamten zuerst kontrolliert. Der Japaner lächelte höflich, beguckte sich Peters Paß und stempelte ihn. Bei Rodrigo lächelte er genauso höflich, aber dann war er neugierig und wollte einen Blick in seinen Koffer werfen. „Selbstverständlich“, sagte Herr Sola zuvorkommend und klappte den Deckel hoch.
Der kleine Beamte untersuchte das Gepäckstück nur oberflächlich. Er griff mit seinen blütenweißen Handschuhen vorsichtig zwischen die Hemden und klappte einen Anzug zur Seite. Aber mit der Handbewegung löste der höfliche Japaner, ohne es zu wissen, eine Explosion aus.
Unter dem Anzug des Brasilianers Rodrigo Sola lagen nämlich ein paar Dutzend farbige Ansichtskarten
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