Der blinde Passagier
Herren warten im Warenhaus.“
„Erzählen Sie der Reihe nach“, sagte Dr. Liesegang und zwang sich zur Ruhe. Er wußte, daß sich Fräulein Bertelsmann im Vorzimmer eingeschaltet hatte und jedes Wort mitschrieb. „Am besten. Sie fangen mit dem Abflug in Rio an.“
„Herr Schimmelpfennig hat übrigens gestern eine ganze Menge Briefe an Sie abgeschickt“, bemerkte Herr Sola und hoffte, daß ihm durch diese Mitteilung ein ausführlicher Bericht erspart bliebe.
Aber die Stimme am anderen Ende der Leitung sagte nur: „Das ist ja sehr schön, und jetzt schießen Sie los!“
In Tokio hängt man seine Wünsche
in die Bäume
Sie kletterten in eines der Taxis, die an jeder Ecke herumstanden, und sausten durch die Stadt. Es war inzwischen Nacht geworden. Überall brannten Lichter und bewegten sich Leuchtreklamen in allen Farben. Der kleine Renault kurvte wie der Teufel zwischen den übrigen Autos hindurch.
Peter Schimmelpfennig und der schwarzhaarige Hiroshi lehnten in den Rücksitzen und blickten in einen kleinen Fernsehapparat, der jede Bewegung des Wagens mitmachte.
„Vielleicht haben wir Glück“, meinte der Japanerjunge, „und du kannst dich jetzt selber sehen, wie du aus dem Hubschrauber kletterst.“
Aber während der ganzen Fahrt wurde nur ein Ringkampf zwischen fetten Männern übertragen. Sie hatten schwarze Zöpfe und brüllten wie angeschossene Löwen, wenn sie aufeinander losstürzten.
„Das ist ein Somo“, erklärte Hiroshi, „und jetzt sind wir gleich da.“
Der kleine Renault ratterte durch dunkle Seitenstraßen. Schließlich bremste er hart vor einem Haus, dessen Eingang schwach beleuchtet war und ein wenig wie der einer alten Pagode aussah.
„Ich muß dich wenigstens anmelden“, sagte Hiroshi. „Du kannst ja inzwischen die Sterne zählen“, meinte er noch und rannte los.
Peter Schimmelpfennig bezahlte mit dem Goldwaterschen Geld das Taxi, und der Fahrer lächelte höflich, als er es einsteckte. Auf der Scheibe des Fernsehapparats krachten gerade zwei von den fetten Ringkämpfern aufeinander wie Lokomotiven bei einem Eisenbahnunglück.
„Meine Familie erwartet dich“, sagte Hiroshi beinahe feierlich, als er nach einer Weile zurückkam.
In der kleinen Vorhalle zog der Japanerjunge seine Schuhe aus, und Peter Schimmelpfennig machte es ihm nach. Er bekam ein Paar Pantoffeln, und dann stand plötzlich eine Frau in dunkelblauem Kimono vor ihm. Sie führte ihn unter vielen Verbeugungen lächelnd durch eine Schiebetür. Drinnen stand ein Mann, der ein Gesicht hatte wie die Samurais oder Kriegsherren in japanischen Filmen. Er verbeugte sich gleichfalls, und mit ihm verbeugten sich zwei kleinere Jungen und ein kleines Mädchen.
„Das ist mein Vater“, stellte Hiroshi vor, „meine Mutter, meine Brüder und meine Schwester Akiko.“
Jetzt verbeugte sich auch Peter Schimmelpfennig und probierte es gleichfalls mit einem japanischen Lächeln.
Herr Uchida erwiderte das Lächeln und hielt eine Art Begrüßungsansprache.
„Mein Vater ist glücklich darüber, daß du Gast in seinem armseligen Hause sein wirst“, übersetzte Hiroshi. „Und die Götter sollen dir tausend Jahre Glück und Gesundheit schenken. Die bösen Geister mögen dir immer fernbleiben.“
Anschließend setzte man sich an einen Tisch, der höchstens dreißig Zentimeter hoch war und auf dem bereits das Abendessen stand. Besonders die Kinder kicherten und plapperten durcheinander, bis Peter Schimmelpfennig endlich begriffen hatte, wie man in der echten Lotusstellung die Beine übereinanderlegt.
„Er sieht genauso aus wie in den Zeitungen“, stellte inzwischen Frau Uchida fest. „Nur seine Haare sind in Wirklichkeit noch heller als auf den Fotos.“
Das Familienoberhaupt mit seinem Samurai-Gesicht hockte am Kopfende des Tisches und erhob sein Glas.
„Das ist Reiswein“, erklärte Hiroshi. „Er heißt Sake und ist ziemlich leicht. Jedes Essen fängt in Japan damit an, daß man sich zutrinkt. Und man darf sich sein Glas nicht selber einschenken. Das muß immer ein anderer tun, der mit am Tisch sitzt.“
Es gab rohen Fisch und später Sukiyaki, einen Eintopf mit Schweinefleisch und Huhn, dazu Reis und Bambusgemüse.
„Meine Mutter möchte gerne wissen, wie es dir schmeckt“, sagte Hiroshi nach einer Weile.
„Wirklich ausgezeichnet“, antwortete Peter Schimmelpfennig, und das war auch die Wahrheit.
Die Kinder kicherten wieder einmal, und dann wollte Vater Uchida natürlich erfahren, was Peter
Weitere Kostenlose Bücher