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Der blinde Passagier

Der blinde Passagier

Titel: Der blinde Passagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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geduldig warteten, bis sie an die Reihe kamen. Herr Matsumoto blickte freundlich um sich und hatte die Hände auf seinem Rücken. Die Schlange ging von der Spielwarenabteilung über alle Treppen bis zur Straße hinunter.
    „Dann kennst du Tokio eigentlich nur aus der Luft“, sagte der Japanerjunge Hiroshi, als er eine neue Postkarte auf den Tisch legte.
    „Und so, wie es aussieht, wird sich das auch nicht ändern.“
    Peter Schimmelpfennig schrieb gerade seinen Namen zum dreihundertsechsundachtzigsten Male. Ein kleines Mädchen mit einem Pagenkopf verbeugte sich und lächelte, als ihm die Karte überreicht wurde.
    „Man hat sogar Polizisten gemietet“, erklärte Peter Schimmelpfennig nach einer Weile und achtete darauf, daß ihn Herr Nagase nicht hören konnte. „Dabei hatte ich bis heute keine Ahnung, daß man Polizisten mieten kann wie Wohnungen oder Autos.“
    „Du bist ja beinahe zu bedauern“, stellte Fliroshi fest.
    „Und wenn ich zurückkomme, erwartet Dr. Liesegang natürlich auch einen Bericht über Tokio ‘, stöhnte Peter Schimmelpfennig. „Dr. Liesegang ist der Chef vom Abendblatt, mußt du wissen. Und für das abendblatt soll ich fotografieren und aufschreiben, was mir passiert ist.“ Er malte dabei immer wieder seinen Namen auf die Postkarten.
    „Da bleibt dir nur übrig, daß du sie auf ihren gemieteten Polizisten sitzenläßt“, schlug der kleine Japaner vor. Anschließend steckten die beiden ihre Köpfe zusammen. Dabei schrieb Peter Schimmelpfennig eifrig weiter und setzte schon zum vierhundertzweiundzwanzigsten Male seinen Namen auf das Bild.
    Herr Nagase kam gerade von einem Telefongespräch zurück, als Hiroshi von seinem Stuhl aufstand. Er verbeugte sich und sagte freundlich: „Es hat mich sehr gefreut.“ Dann setzte er sich seine Mütze auf und trabte davon.
    „Ein angenehmer Junge“, bemerkte Herr Nagase und lächelte. Der Hausdetektiv Watanabe hatte währenddessen scharf eine Frau in mittleren Jahren im Auge, die sich verdächtig nahe an einen offenen Ladentisch mit gelben Wasserpistolen herangeschoben hatte. Ihre große Handtasche ließ das Schlimmste vermuten.
    Kurz vor sechs Uhr wurde über Lautsprecher bekanntgegeben, daß die Autogrammstunden für heute in wenigen Minuten abgebrochen würden. Aber morgen nachmittag stünde der „blinde Passagier“ wieder ab drei Uhr zur Verfügung.
    Der Lautsprecher wiederholte seine Durchsage gerade für die Leute im Treppenhaus und auf der Straße, als plötzlich so zehn oder fünfzehn Jungen zu dem kleinen Podium stürmten. Sie trugen alle ihre dunkelblauen Schüleruniformen und überschlugen sich beinahe vor Begeisterung. Sie hoben Peter Schimmelpfennig in die Luft und nahmen ihn auf die Schultern. Dabei riefen sie pausenlos: „Banzai! Banzai!“
    „Gerade jetzt sind keine Fotografen mehr da“, bedauerte Reklamechef Matsumoto, und Herr Nagase bekam glänzende Augen hinter seiner Hornbrille.
    „Banzai! Banzai!“ riefen jetzt auch die übrigen Besucher, und die allgemeine Freude breitete sich aus wie ein Zimmerbrand, dem gerade jemand die Tür aufgemacht hat. Peter Schimmelpfennig wurde im Kreis herumgetragen und auch ein paarmal in die Luft geworfen. Als er nach so einem Luftsprung wieder einmal gelandet war. tauchte er aber leider nicht wieder auf.
    Reklamechef Matsumoto und Herr Nagase blickten auf die vielen schwarzen Köpfe und warteten darauf, daß Peter Schimmelpfennig augenblicklich wieder zwischen und über ihnen sichtbar würde. Aber der hellblonde Junge aus Hamburg blieb verschwunden.
    Als erster begriff Hausdetektiv Watanabe die Größe der Gefahr. „Sie haben ihn entführt!“ brüllte er und stürzte an Kinderkaufläden und Luftballons vorbei zum Lift. Die Herren Matsumoto und Nagase stürzten hinterher. Im Erdgeschoß wurden sie von den vielen Menschen bei ihrer Verfolgungsjagd behindert. Trotzdem gelang es Herrn Watanabe noch, bis zum Haupteingang vorzudringen. Aber dann wurde auch er von der Menschenmenge hoffnungslos eingeklemmt.
    Peter Schimmelpfennig trabte inzwischen mitten in einer Gruppe von zehn bis fünfzehn Jungen, die alle ihre dunkelblauen Schüleruniformen trugen, im Laufschritt über die Ginza. „Ich bin euch enorm dankbar“, keuchte er, und sein Fotoapparat schlug ihm beim Laufen gegen die Brust.
    „Nicht der Rede wert“, lachte Hiroshi außer Atem. Und dann sprach er mit seinen Freunden japanisch. Das dauerte eine kleine Weile, und daraufhin lachten sie alle durcheinander. Kurz darauf bogen

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