Der blinde Passagier
Vorausgesetzt, diese Leute haben irgend etwas mit der Sache zu tun. Jedenfalls würden sie uns keine Auskunft geben. Aber wenn sie von jemandem angerufen werden, der ihre eigene Sprache spricht...“
„Schon begreifen“, sagte Herr Chang. Er wußte ja, daß es auf jede Minute ankam. „Und was ich soll sagen?“
„In keinem Fall dürfen Sie fragen, ob man Herrn Sang Ping dort kennt oder ob man ihn erwartet“, schlug Peter vor. „Man muß glauben, Sie seien ein guter Freund von Sang Ping und wüßten über alles Bescheid. Wenn sie zum Beispiel nur sagen, daß Sang Ping um vierzehn Uhr zehn mit der Frankfurter Maschine abgeflogen sei, das wäre alles, und das sollten Sie ausrichten, dann glaubt man in Frankfurt...“
„... ich bin Freund und Komplize“, unterbrach Herr Chang.
„Genau“, sagte Peter. „Das ist ein Risiko, weil Sie dann keine Frage stellen können. Aber wenn es stimmt, was wir glauben, erfahren wir so am sichersten, daß dieser Sang Ping tatsächlich in Frankfurt erwartet wird.“
Peter hatte schon den Hörer vom Apparat genommen und wählte.
„Ich verstehe kein Wort“, gab Frau Schimmelpfennig zu. „Aber es hört sich so an, als ob alles Hand und Fuß hätte.“ Das Gespräch mit der east asia development company dauerte nicht länger als eine Minute. Und da Herr Chang chinesisch sprach, mußte er hinterher übersetzen, was er in Erfahrung gebracht hatte.
„Dieser Herr Johu Sung war gleich am Apparat“, berichtete Herr Chang. „Und er war gar nicht erstaunt, als ich ihm sagte, daß Herr Sang Ping abgeflogen sei. Er bedankte sich für den Anruf und versicherte, daß er pünktlich am Flugplatz abgeholt würde.“
„Onkel Emil“, rief die Großmutter jetzt wieder. „Sofort Onkel Emil anrufen!“
„Wenn ich nicht mußte sein in meine Restaurant diese Abend“, überlegte Herr Chang, „ich wurde fliegen mit nächste Flugzeug nach Frankfurt.“ Und dann fügte er noch hinzu: „Es sein very schlecht, was Sang Ping haben gemacht mit Sie, gnädige Frau.“ Herr Chang hatte plötzlich das Gefühl, als müßte er sich im Namen ganz Ostasiens bei Frau Schimmelpfennig entschuldigen.
„Schön ist es nicht“, sagte Frau Schimmelpfennig, und dann griff sie den Gedanken der Großmutter auf: „Onkel Emil hilft uns leider gar nichts. Er kennt Sang Ping ja nicht und kann ihn deshalb auch nicht festnehmen lassen.“
Und jetzt machte die Großmutter einen Vorschlag, der noch eine ganze Menge Staub aufwirbeln sollte. „Dann gibt es nur eins“, gab sie bekannt. „Peter muß nach Frankfurt.“ Sie machte eine Pause, um das Sensationelle ihrer Idee wirken zu lassen. „Und Onkel Emil soll ihn am Flugplatz abholen.“
„Und dann?“ fragte Frau Schimmelpfennig.
„Ganz einfach. Sie nehmen sich ein paar Polizisten unter den Arm, umstellen die Wohnung dieses Herrn Johu Sung, und Peter zeigt den Herren, wer festzunehmen ist.“ Für die Großmutter war der Fall eigentlich schon erledigt. „Aber ihr müßt euch beeilen. Sonst hat der Kerl nämlich schon alles Geld ausgegeben, bevor ihm die Handschellen verpaßt sind.“
„Je länger ich überlege“, sagte Peter, „um so klarer wird es mir: Uns bleibt gar nichts anderes übrig.“ Er sagte das so trocken und selbstverständlich, als sei ein Flug nach Frankfurt das gleiche wie eine Fahrt in der Straßenbahn. Aber das lag natürlich daran, daß Peter augenblicklich mit seinen Gedanken ausschließlich bei Herrn Sang Ping war und dabei, wie man das gestohlene Geld wieder zurückholen könnte.
Am Ende gab Herr Chang den Ausschlag.
„Sie müssen alles probieren“, sagte er zu Frau Schimmelpfennig. „Wenn Sie erlauben, ich bezahlen Fahrtkarte für Flug.“ Er griff bereits nach seiner Brieftasche.
Schon eine halbe Stunde später saßen Mutter und Sohn Schimmelpfennig in einer Taxe. Ohne eine Taxe hätte Peter das nächste Flugzeug nach Frankfurt nämlich nicht mehr erreicht.
Da Frau Schimmelpfennig auf dem Flugplatz zum Personal gehörte, durfte sie bis zur Maschine mitkommen. Am liebsten wäre sie noch zu dem Piloten ins Cockpit geklettert, um ihn zu bitten, heute besonders vorsichtig zu fliegen.
„Onkel Emil steht ja an der Sperre“, sagte Frau Schimmelpfennig schließlich. Aber das sagte sie eigentlich nur noch einmal zu ihrer eigenen Beruhigung. Denn daß Onkel Emil in Frankfurt am Flugplatz warten würde, war ja ausgemacht.
Bevor die Motoren ansprangen, mußte auch Frau Schimmelpfennig, obgleich sie sozusagen zum Flugplatz
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