Der blinde Passagier
Schimmelpfennig. Er zog die Beine an, bis er seine Knie dicht unter dem Kinn hatte. Immer, wenn sich eine Welle am Strand gebrochen hatte, war während der Stille, die dann eintrat, das Zirpen von Grillen zu hören.
„Das Allerwichtigste ist, daß ich so schnell wie möglich mit Dr. Liesegang vom abendblatt in Verbindung komme“, überlegte Peter. „Alles andere überlasse ich jetzt ganz einfach dem Zufall. Irgendwann und irgendwo kommt natürlich jemand dahinter und läßt meinen ganzen Schwindel platzen. Aber je später das passiert, um so interessanter wird die ganze Sache für die Herren vom abendblatt.’ 1
Als sich Peter Schimmelpfennig endlich in sein Bett legte, ließ er die gläserne Schiebetür zum Balkon weit offen. So hörte er beim Einschlafen noch, wie die Ozeanwellen weiter rauschten, und das Leuchtfeuer konnte immer wieder durch sein Zimmer wandern.
Eine Weile beschäftigte ihn noch der Gedanke, was denn eigentlich mit blinden Passagieren geschah, wenn sie erwischt wurden. Vermutlich packte man sie einfach ins nächste Flugzeug und schickte sie wieder dahin zurück, wo sie hergekommen waren. Oder wurden sie vielleicht der Polizei des jeweiligen Landes ausgeliefert und ins Gefängnis gesteckt, bis irgendein Konsulat oder eine Gesandtschaft...?
Peter Schimmelpfennig kam nicht mehr dazu, den Gedanken zu Ende zu denken. Er hatte sich nämlich inzwischen so halb auf den Bauch gelegt und seinen Kopf im abgewinkelten rechten Arm vergraben. Und das bedeutete immer, daß er unter Garantie im Handumdrehen einschlief.
Schon eine knappe halbe Stunde später träumte er von zwei Männern mit schwarzen langen Mänteln und schwarzen steifen Hüten. Sie hatten auch schwarze Glacehandschuhe an den Händen, kamen durch die Tür geschlichen und rissen ihn plötzlich aus seinem Bett. Sie schleppten ihn in einen Gerichtssaal, der so groß war wie der Kölner Dom. Auf einem sehr hohen Thron saß ein Richter in zinnoberroter Robe. Dieser Richter hatte das Gesicht von Flugkapitän Roland.
„Schuldig!“ riefen mindestens 30 000 Menschen, wie auf einem Fußballplatz, wenn ein Tor gefallen ist, und der Richter mit dem Gesicht von Kapitän Roland hielt den Arm in die Höhe und zeigte mit ausgestrecktem Daumen nach unten.
„Bravo!“ brüllten die dreißigtausend, und schon in der nächsten Zehntelsekunde saß Peter Schimmelpfennig zwischen halbnackten und schwitzenden Sträflingen im Bauch einer Galeere eingeklemmt. Er mußte rudern, was das Zeug hielt, es roch abscheulich, und ein dicker, fetter Kerl mit einem Wald von schwarzen Haaren auf der Brust knallte fortwährend mit einer Peitsche über ihre Köpfe.
Ein Kabeljau fliegt durch die Luft
Peter Schimmelpfennig wachte auf, weil ihm die Sonne ins Bett und mitten ins Gesicht schien. Seine Hand fingerte wie jeden Morgen nach der Armbanduhr, die neben der Nachttischlampe lag. Aber da lag heute keine Uhr, und eine Nachttischlampe gab es auch nicht.
Erst nach einer Weile begriff Peter, daß er ja nicht zu Hause im Bett der Schimmelpfennigschen Wohnung lag.
Kaum zehn Minuten später stieg er in der Halle aus dem Lift. Sein Haar war noch ziemlich naß, aber sehr manierlich zur Seite gekämmt. Er ging zur Rezeption hinüber und gab seinen Zimmerschlüssel ab. Aber dann war er ziemlich unschlüssig und wußte nicht recht, was er jetzt machen sollte.
Da sagte der schwarze Portier in seiner Khakiuniform: „Pardon, Monsieur, un message pour vous.“ Er gab ihm einen Zettel, der für ihn im Fach 311 gelegen hatte.
„Bin beim Frühstück und erwarte dich“, stand auf dem Zettel und dahinter ein großes B.
„Entschuldigung“, sagte Peter, „wo frühstückt Frau Bergström?“
„Un moment“, entschuldigte sich der Portier höflich und verschwand kurz in einem Nebenraum seiner Loge. Als er zurückkam, begleitete ihn ein etwas dicklicher Herr, der eine Brille trug und Sommersprossen hatte.
„Was kann ich für dich tun?“ fragte der Herr, der noch ziemlich jung war. „Mein Name ist Schifferli, und ich bin hier zweiter Direktor. Daß ich Schweizer bin, weißt du bestimmt schon, seitdem ich den Mund aufgemacht habe.“ Er lachte und zog dabei seine Krawatte zurecht . „Ich komme aus Luzern.“
„Ich wollte nur fragen, wo man hier frühstückt“, meinte Peter und lächelte zurück.
„Hinten im Restaurant oder auf der Terrasse.“ Herr Schifferli schnippte mit Daumen und Zeigefinger. Beinahe im gleichen Augenblick stand ein Hotelboy in blauer Leinenjacke neben
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