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Der blinde Passagier

Der blinde Passagier

Titel: Der blinde Passagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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„Das ist eine ganze Familie, und ihr ältester Sohn ist als Soldat in Bamako. Das ist ziemlich weit von hier. Sie wollen ihm einen Brief beantworten. Der Schreiber läßt sich bezahlen und sucht aus allem, was sie ihm erzählen, das zusammen, was er für wichtig hält.“ Doudou guckte auf seine Schuhspitzen. „Aber heute lernen im Senegal fast alle Kinder schreiben und lesen.“
    Der alte Schreiber trug eine schwere Hornbrille, die ihm bis ans Ende der Nase gerutscht war. Sein Kopf war glatt wie eine Billardkugel.
    Jetzt legte er die Feder weg, sagte ein paar Worte, und augenblicklich wurde es still. In dieser Stille las er vor, was er geschrieben hatte. Die Familie hörte andächtig zu. Soweit es möglich war, übersetzte Doudou leise Satz für Satz.
    „... und nun segne Dich Allah im Namen Deines Vaters, Deiner Mutter, Deiner Geschwister, Deiner vier Onkel und Deiner fünf Tanten.“
    Die Familie war glücklich und applaudierte begeistert. Der Schreiber faltete den Brief zusammen und verzog keine Miene.
    „Was hat er jetzt gesagt?“ wollte Frau Bergström wissen.
    „Er verlangt fünfhundert Francs“, sagte Doudou grinsend.

    Dr. Liesegang hatte sich mit dem Handtuch auf dem beschlagenen Spiegel seines Badezimmers ein kreisrundes Loch blankgewischt, so ziemlich in der Mitte.
    In diesem Loch blickte sich der Chefredakteur des Abendblattes jetzt ins Gesicht. Er pustete die Backen auf und kniff einmal das linke und ein anderes Mal das rechte Auge zu. Anschließend zog er sich mit dem Kamm einen kerzengeraden Scheitel. Dabei pfiff er die erste Strophe von „O du fröhliche, o du selige“.
    „Alexander, der Kaffee wird kalt“, rief Frau Liesegang vom Wohnzimmer her.
    Im gleichen Augenblick hörte Dr. Liesegang auf zu pfeifen, das heißt, das Pfeifen wurde nach und nach leiser. Der Chefredakteur stützte sich mit ausgestreckten Armen auf das Waschbecken und kam mit seinem Gesicht dicht an den Spiegel heran. Eine ganze Weile guckte er sich selbst in die Augen. „Das ist nicht möglich“, sagte er, und seine Nase berührte jetzt beinahe den Mittelpunkt des blankgeputzten Kreises.
    Und dann rannte Dr. Liesegang los. Im Wohnzimmer riß er den Hörer vom Telefon, und sein Zeigefinger wählte das Fernamt, so schnell es eben ging.
    Während der ganzen Rückfahrt sagte Peter Schimmelpfennig kein Wort. Natürlich schwiegen deshalb auch Frau Bergström und Doudou. Nur der Omnibus klapperte. Die Sonne stand jetzt hoch am Himmel. Die Schatten unter den Palmen, an denen man vorbeifuhr, waren ganz klein und lagen dicht am Stamm.
    „Wir sitzen da, als kämen wir von einer Beerdigung“, sagte Frau Bergström, als sie an einer Erdnußplantage vorbeifuhren.
    „Entschuldigung“, meinte Peter und versuchte zu lächeln.
    „Schon besser“, lobte die Dänin. „Manchmal sehen gewisse Dinge im ersten Augenblick ganz verfahren und traurig aus. Aber so schnell, wie sie gekommen sind, können sie auch wieder verschwunden sein. Gott sei Dank ist das so.“
    Im Hotel de n’gor herrschte große Aufregung. Alles lief durcheinander wie bei einer Feuerwehrübung. Die Flugplatzleitung hatte nämlich den Start der Maschinen nach Brasilien früher freigegeben. Und nun mußte der flachsblonde Steward Eckelkamp seine Crew und die Passagiere zusammensuchen wie eine Herde Schafe, die nach allen Himmelsrichtungen auseinandergelaufen war.
    Ein Motorboot suchte Kapitän Roland und den Kopiloten. Sämtliche Hotelboys durchforschten Strand, Bar, Restaurant, Terrasse, Hotelzimmer und sogar die Toiletten nach den Fluggästen.
    „Und wenn die Technik noch so weit ist“, stellte Frau Bergström fest, „kein Flugzeug der Welt fliegt ohne Piloten. Wir müssen uns beim Kofferpacken nicht überschlagen, mein Junge.“
    Aber der Kapitän kam schon fünf Minuten später im Laufschritt in die Halle. Sein baumlanger schwarzer Bootsmann schleppte zusammen mit Dick, dem Kopiloten, einen Fisch hinter sich her, der noch lebte und über einen Meter lang war. „Der kommt in die Badewanne und fliegt übermorgen mit nach Deutschland zurück.“
    Steward Eckelkamp hatte endlich sämtliche Passagiere von überall her eingesammelt und verfrachtete sie in den Flughafenbus. Ausgerechnet der Chinese, der von hinten so ausgesehen hatte wie Herr Sang Ping, war erst im allerletzten Augenblick aufgefunden worden. Er hatte mit Schwimmflossen an den Füßen und mit einer Tauchermaske nach Muscheln gesucht. Und immer, wenn die Hotelboys am Strand nach den

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