Der blinde Passagier
den Leuten von der Paßkontrolle geklärt haben, ist unser Vogel längst in der Luft“, stellte der flachsblonde Steward fest. „Ich schlage vor, du tauchst jetzt so ganz allmählich immer tiefer, bis man nichts mehr von dir sieht. Und unser Freund da vorne soll auch nichts merken, damit er hinterher nichts erzählen kann.“
Aber der Neger am Steuer kümmerte sich im Augenblick nicht um seine Fahrgäste. Der Flugplatz kam immer näher, und damit nahm auch der Verkehr zu.
Steward Eckelkamp dirigierte den Wagen am Flugplatzgebäude vorbei zu einer Einfahrt, die direkt auf das Flugfeld führte. Er ließ langsam fahren, aber nicht halten. Als die Posten in die Nähe kamen, lehnte er sich aus dem Fenster hinaus, nahm die Hand an die Mütze und lachte.
„A demain“, rief er vergnügt.
„Bon voyage“, gaben die zwei Negerpolizisten zurück.
Die Boeing stand weit draußen und so, daß ihre Längsseite mit den Türen nicht ganz dem Flugplatzgebäude zugewandt war.
„Du kannst langsam wieder auftauchen“, sagte Steward
Eckelkamp, als der graue Chevrolet in großem Bogen um die Tragflächen herumfuhr.
Die Tür zur Touristenklasse war schon geschlossen. Aber die Gangway zur ersten Klasse und zum Cockpit war noch nicht weggerollt. Dort stand Kapitän Roland in einer Gruppe von Angestellten des Bodendienstes. Er unterschrieb gerade irgendwelche Formulare, als sich Steward Eckelkamp zurückmeldete.
„Sie haben sich bestimmt beeilt, daß die Absätze rauchen.“ Der Flugzeugkapitän grinste. „Dabei haben wir plötzlich noch eine Menge Zeit. Da hängt nämlich eine Air-France-Maschine in der Luft, und sie lassen uns erst raus, wenn die gelandet ist. Sagen Sie den Passagieren Bescheid.“
„Wird gemacht, Captain.“ Steward Eckelkamp ging in Richtung der Gangway.
„Übrigens, Sie haben das prima gemacht, heute“, sagte Kapitän Roland noch, „Sie sind ein tüchtiger Knabe.“
„Ja, das stimmt“, dachte Peter Schimmelpfennig. Aber im gleichen Augenblick sagte er es auch schon.
„Danke für die Blumen“, lachte der flachsblonde Steward und verschwand.
Peter wollte ihm gerade nachklettern, da legte sich plötzlich eine Hand von hinten auf seine Schulter.
Peter Schimmelpfennig blieb stehen, rührte sich nicht mehr und wagte auch gar nicht, sich umzudrehen. „Jetzt ist es vorbei“, dachte er nur, „sie haben dich.“
Aber die Hand, die auf seiner Schulter lag, gehörte dem zwei Meter langen Lufthansakapitän. „Dann will ich jetzt mein Versprechen einlösen“, sagte er und nahm Peter mit sich ins Cockpit.
Und da etwa im gleichen Augenblick die Stewardessen im Passagierraum die Fluggäste nachzählten, stimmte alles haargenau.
Die Boeing mit Peter Schimmelpfennig hing schon eine gute Viertelstunde über dem Atlantik, als Dr. Liesegang in seiner Wohnung an der Elbchaussee ein Ferngespräch nach Rio de Janeiro anmeldete.
„Die Bundespost verdient sich heute an dir eine goldene
Nase“, stellte Frau Liesegang fest. Sie räumte gerade den Frühstückstisch ab.
Aber der Chefredakteur hörte nicht hin. Seine Zigarre, ohne die es einfach nicht ging, brannte wieder. Er wählte bereits die Nummer vom abendblatt. Eine Weile mußte er warten. „Ja, Liesegang“, meldete er sich. „Ihr habt doch bei euch in der Zentrale bestimmt die Privatnummern unserer Leutchen aus der Fotoabteilung. Versuchen Sie, jemanden zu kriegen. Er soll mich sofort anrufen.“
Dr. Liesegang spazierte auf dem Teppich hin und her. Er hatte dabei seine Hände auf den Rücken gelegt und dachte nach.
„Du hast nicht vergessen, daß wir heute bei Konsul Barthel zum Essen eingeladen sind?“ meinte Frau Liesegang, als sie wieder aus der Küche zurückkam, um das Tischtuch zu wechseln. „Es gibt Karpfen wie jedes Jahr am zweiten Feiertag. Und bei Karpfen muß man pünktlich sein.“
Da klingelte das Telefon.
„Ja, Herr Purzer, gut, daß wir Sie aufgetrieben haben.“ Der Chefredakteur suchte nach einem Zettel auf dem Schreibtisch. „Kommen Sie mit Ihrem ganzen Fotokram um drei in die Steinfeldstraße 84 und läuten Sie dort im vierten Stock bei Schimmelpfennig. Ich bin dann schon da. — Was meinen Sie?“ Dr. Liesegang horchte eine Weile erstaunt in den Hörer. Dabei kringelte er sich gutgelaunt die Telefonschnur um den ausgereckten Zeigefinger.
„Da sagen Sie mir nichts Neues, Herr Purzer. Ich weiß auch, daß heute zweiter Feiertag ist. Trotzdem um drei, wie ausgemacht.“ Der Chefredakteur legte den Hörer auf den Apparat
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